Übernehmen Krankenkassen die Kosten für Hörgeräte mit einem messbar besseren Sprachverständnis um fünf Prozent im Vergleich zu zuzahlungsfreien Geräten? Das könnte der Fall sein, wie ein kürzlich veröffentlichtes Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Berlin-Brandenburg (Az.: L 14 KR 129/22) zeigt. Das LSG entschied, dass ein deutlich verbessertes Sprachverständnis im Alltag, auch in lärmenden Umgebungen, als „wesentlicher Gebrauchsvorteil“ anzusehen ist, der eine Kostenübernahme durch die Krankenkasse rechtfertigen kann.
Allerdings wurde die Revision zum Bundessozialgericht (BSG) in Kassel von den Richtern in Potsdam zugelassen.
Die Klägerin, eine hörbehinderte Person, beantragte bei ihrer Krankenkasse die Versorgung mit dem Hörsystem „KINDuro 3410“ zum Preis von 3.320 Euro. Eine Testung ergab, dass sie mit diesen Hörgeräten eine um fünf Prozent bessere Verständigung und eine um 2,5 Prozent verbesserte Sprachverständlichkeit in störenden Geräuschkulissen erreichte, im Vergleich zu zuzahlungsfreien Geräten.
Die Krankenkasse lehnte den Antrag ab und argumentierte, dass die Verbesserung des Sprachverständnisses im Rahmen der Messtoleranzen des standardisierten Freiburger Sprachtests läge und somit kein „wesentlicher Gebrauchsvorteil“ gegeben sei.
Das LSG stellte jedoch fest, dass die Krankenkasse verpflichtet ist, auch den Restbetrag für das gewünschte Hörgerät zu übernehmen. Es bestehe das Gebot eines umfassenden Ausgleichs der Behinderung, um hörbehinderten Menschen das Hören und Verstehen in verschiedenen Umgebungen zu ermöglichen.
Der Anspruch auf ein Hilfsmittel zum Behinderungsausgleich ist nicht auf eine Minimalversorgung beschränkt. Es muss ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein und das Maß des Notwendigen nicht überschreiten.
Ein Versorgungsanspruch besteht, wenn das Hörgerät einen erheblichen Gebrauchsvorteil bietet. Komfortfunktionen oder ein subjektiv besserer Höreindruck begründen jedoch keinen solchen Anspruch.
Ein messbar besseres Sprachverständnis, wie es bei einem um fünf Prozent verbesserten Verständnis der Fall ist, stellt jedoch einen „wesentlichen Gebrauchsvorteil“ dar. Es ist willkürlich anzunehmen, dass die Krankenkasse aufgrund von Messungenauigkeiten das getestete Hörgerät mit den zuzahlungsfreien Geräten gleichsetzt. Es ist ebenso möglich, dass das mit dem gewünschten Gerät gemessene Sprachverständnis von 5 Prozent tatsächlich höher ist.“