Das Bundessozialgericht (BSG) hat mit einem wegweisenden Urteil (Az.: B 3 KR 13/23 u. a.) die Rechte von Menschen mit Hörminderung gestärkt. Künftig müssen Krankenkassen auch dann die Kosten für höherwertige Hörgeräte über dem Festbetrag übernehmen, wenn der objektiv gemessene Hörgewinn nur gering ausfällt – das subjektive Hörempfinden jedoch deutlich verbessert wird.

Relevanz für Hörakustiker: Subjektive Hörempfindung wird rechtlich aufgewertet

Das Urteil hat große Bedeutung für die Praxis in Hörakustik-Betrieben. Die Entscheidung des BSG besagt: Ein relevanter Hörvorteil kann auch bei geringer audiometrischer Verbesserung vorliegen, wenn der individuelle Nutzwert im Alltag spürbar steigt. Dazu zählen u. a. besseres Sprachverstehen in Lärmsituationen, komfortables Musikhören oder störungsfreies Telefonieren – auch dank moderner digitaler Zusatzfunktionen.

Hintergrund: Festbetragssystem und bisherige Rechtspraxis

Krankenkassen zahlen aktuell je nach Gerät Festbeträge zwischen 635 und 735 Euro pro Hörgerät, zuzüglich rund 57 Euro für Zubehör. Bislang mussten Kassen nur dann teurere Geräte erstatten, wenn „erhebliche Gebrauchsvorteile“ objektiv nachgewiesen wurden. Bei beruflich bedingten Anforderungen kann zudem die Rentenversicherung zuständig sein.

Im jetzt entschiedenen Fall hatte eine Patientin mit beidseitiger Innenohrschwerhörigkeit gegen ihre Krankenkasse geklagt. Diese verweigerte die Erstattung für ein 5.660 Euro teures Hörsystem, da der Hörgeräteakustiker nur einen Hörgewinn von fünf Prozentpunkten gemessen hatte – und nicht die vom Kostenträger geforderten zehn.

BSG widerspricht Vorinstanzen – und stärkt Individualversorgung

Sowohl das Sozialgericht als auch das Landessozialgericht hatten die Klage zunächst abgewiesen. Das BSG hob die Urteile auf und entschied zugunsten der Klägerin. Die Krankenkasse muss nun auch die über den Festbetrag hinausgehenden Kosten erstatten.

Entscheidend sei nicht allein der Messwert, sondern die individuelle Alltagstauglichkeit, so das Gericht. Der Hörvorteil müsse auch aus Sicht der Nutzerin nachvollziehbar und belegbar sein – etwa durch:

  • Standardisierte Fragebögen

  • Ein Hörtagebuch

  • Ärztliche Einschätzungen

  • Alltagsrelevante Prüfbögen, wie im vorliegenden Fall

Die BSG-Richter betonten, dass hörgeschädigte Menschen nicht vom digitalen und technologischen Fortschritt ausgeschlossen werden dürfen. Der Hinweis der Kasse auf das Wirtschaftlichkeitsgebot greife nicht, wenn Komfortfunktionen wesentlich zur Hörverbesserung beitragen. Diese seien nicht automatisch als „Luxus“ zu bewerten.

Fazit für die Hörakustik-Branche

Das BSG-Urteil schafft neue Argumentationsgrundlagen für die Versorgung mit höherwertigen Hörsystemen. Hörakustiker sollten bei der Beratung und Antragstellung künftig verstärkt auf subjektive Hörerfahrungen, dokumentierte Alltagssituationen und funktionelle Vorteile eingehen. Damit steigen die Chancen auf Kostenübernahme – auch bei hochpreisigen Geräten.