Bislang gab es keine zuverlässige objektive Methode zur Diagnose von Tinnitus. Forscher des Karolinska Institutet in Schweden haben nun herausgefunden, wie mit Hilfe der Hirnstammaudiometrie Veränderungen im Gehirn bei Menschen mit chronischem Tinnitus gemessen werden können. Die Studie wurde in der Zeitschrift The Journal of Clinical Investigation veröffentlicht.
Tinnitus wird derzeit nicht als eigenständige Erkrankung eingestuft, sondern als ein Symptom mit vielen möglichen Ursachen, wie z. B. Hörstörungen, Lärm, Krankheiten oder Stress. Vielmehr wird Tinnitus oft als Phantomgeräusch beschrieben, das nur für den Betroffenen hörbar ist.
Messung der Gehirnaktivität
Der Schweregrad eines Tinnitus wird heutzutage durch eine Selbsteinschätzung des Betroffenen bestimmt. Eine Studie von Wissenschaftlern des Karolinska Institutet, die in Zusammenarbeit mit dem Unternehmen Decibel Therapeutics durchgeführt wurde, hat nun gezeigt, dass die auditorische Hirnstammreaktion (auditory brainstem responses / ABR) ein mögliches objektives Diagnoseinstrument zur Identifizierung von Menschen mit konstantem Tinnitus ist. Die auditorische Hinrstammreaktion misst die Aktivität des Gehirns als Reaktion auf eine bestimmte Abfolge von Schallreizen.
„Wir glauben, dass unsere ABR-Methode exakt genug ist, um als Diagnoseinstrument eingesetzt werden zu können“, sagt Christopher R. Cederroth, Forscher in der Abteilung für Physiologie und Pharmakologie am Karolinska Institutet. „Die Methode misst die tatsächlichen neuronalen Veränderungen im Hirnstamm bei Menschen mit chronischem Tinnitus. Das könnte ein zukünftiger Biomarker werden könnte.“
Anerkennung für Patienten
ABR wurde bereits in der Vergangenheit als Instrument zur Messung von Tinnitus präsentiert. Einen wissenschaftlichen Konsens gab es hierzu nicht. Bislang wurden jedoch nie so viele Teilnehmer in eine Studie einbezogen wie es nun der Fall war. Die Forscher haben in der aktuellen Studie ABR-Messungen an 405 Personen durchgeführt, 228 mit Tinnitus und 177 ohne Tinnitus. Sie beobachteten bei Personen mit chronischem Tinnitus einen deutlichen Unterschied in den Messwerten im Vergleich zu Personen ohne Tinnitus oder Personen, die ihren Tinnitus nur als gelegentlich einstuften.
„Wir brauchen eine objektive Diagnosemethode für Tinnitus, sowohl um den Betroffenen ihr Leiden zu verdeutlichen als auch um die Entwicklung neuer Therapien zu fördern“, sagt Christopher R. Cederroth. „Unsere Studie deutet auf einen kausalen Zusammenhang zwischen solchen Veränderungen in der neuronalen Aktivität des Gehirns und der Entwicklung eines chronischen Tinnitus hin, aber wir müssen weitere Studien durchführen, um dies zu überprüfen. Außerdem müssen wir feststellen, ob unsere Methode einen therapeutischen Nutzen messen kann.“
Tinnitus wird verschlimmert
Die Forscher beobachten zudem mehr als 20.000 Menschen ohne bzw. mit unterschiedlich starkem Tinnitus, um zu sehen, wie sich die Symptome im Laufe der Zeit entwickeln. Es zeigte sich, dass Menschen mit gelegentlichem Tinnitus ein erhöhtes Risiko haben, einen chronischen Tinnitus zu entwickeln, vor allem wenn er häufig wiederkehrt. Die Studie ergab auch, dass bei Personen, die bereits unter chronischem Tinnitus leiden, die Wahrscheinlichkeit besteht, dass das Problem bestehen bleibt.
„Es ist wichtig zu wissen, dass ein wiederkehrender Tinnitus das Risiko erhöht, einen dauerhaften Tinnitus zu entwickeln“, fügt Dr. Cederroth hinzu. „Wir müssen diese Informationen verbreiten, damit Menschen mit gelegentlichem Tinnitus sich der Risiken bewusst werden und die Möglichkeit haben, vorbeugend zu handeln.
Die Studie wurde in Zusammenarbeit mit dem Karolinska Universitätskrankenhaus, der Universität Stockholm, der Universität Bergen und Decibel Therapeutics Inc. durchgeführt. Sie wurde von mehreren Stellen finanziert, darunter der Schwedische Forschungsrat, der Schwedische Forschungsrat für Gesundheit, Arbeitsleben und Wohlfahrt (FORTE), das Stockholmer Stresszentrum, der GENDER-Net Co-Plus Fund „TIGER“ und die EU-Programme „ESIT“ und „UNITI“.