2.5. Psychoakustik
Die Psychoakustik ist ein Teilgebiet der Psychophysik und befasst sich mit der subjektiven Wahrnehmung von Schall. Wissen über die Wahrnehmung von Schall wird erlangt, indem einer Gruppe von Versuchspersonen unterschiedliche Schallsignale systematisch präsentiert und ihre Reaktionen darauf gemessen werden.
2.5.1. Messung der Hörschwelle
Eine weit verbreitete psychoakustische Messung ist die Hörschwellenmessung. Die Hörschwelle kann auf mehrere Arten ermittelt werden. Im folgenden Abschnitt wird eine der meistverwendeten Messtechniken beschrieben – die Tonschwellen-Audiometrie, einem Verfahren mit zunehmender Lautstärke.
Bestimmung von Hörschwellen durch Tonschwellen- Audiometrie mit zunehmender Lautstärke
Zunächst wird der Versuchsperson ein Sinuston (reiner Ton) bei einer bestimmten Frequenz präsentiert. Der Ton sollte für die Versuchsperson hörbar sein. Der Pegel wird dann in 10-dB-Schritten reduziert, und die Versuchsperson wird aufgefordert, jedes Mal anzuzeigen, wenn der Ton gehört wird.
An einem bestimmten Punkt wird der Ton so leise, dass er für die Versuchsperson nicht mehr hörbar ist. Wenn dies eintritt, wird der Signalpegel in 5-dB-Schritten erhöht, bis die Versuchsperson den Ton wieder hören kann. Dann wird der Pegel des Tons um 10 dB reduziert, und ein neuer Verlauf mit zunehmender Lautstärke beginnt. Diese Vorgehensweise wird so lange wiederholt, bis sich der niedrigste Pegel, bei dem die Person den Ton bei der konkreten Frequenz hören kann, zwei- oder dreimal bestätigt hat.
2.5.2. Der Hörbereich
Die uns umgebenden Schallsignale sind sehr vielfältig, von leisen Signalen wie Vogelzwitschern und Blätterrascheln bis zu lauten Signalen wie Schreien, lauter Musik und Maschinenlärm. Die Gesamtheit der Schallpegel, die für das menschliche Ohr hörbar ist, nennt man den Hörbereich (auch Hörfeld oder Hörfläche).
Die untere Grenze in der Abbildung zeigt die Normal-Hörschwelle einer Gruppe Normalhörender. Die Messungen werden in einem Freifeld durchgeführt, wo die Personen die Testsignale von einem Lautsprecher binaural (mit beiden Ohren) hören.
Wie aus der Abbildung ersichtlich wird, hängt das leiseste Schallsignal, das von einer Person wahrgenommen werden kann, von der Schallfrequenz ab. Der hörbare Frequenzbereich liegt ungefähr zwischen 20 Hz und 20.000 Hz, am empfindlichsten ist das Gehör jedoch im Frequenzbereich zwischen 2.000 und 5.000 Hz. Bei niedrigeren und höheren Frequenzen ist das Gehör weniger empfindlich, weshalb die Testtöne dementsprechend höhere Pegel aufweisen müssen, um für das menschliche Ohr hörbar zu sein.
2.5.3. Die Wahrnehmung von Lautstärke
Das menschliche Ohr ist in der Lage, Schallpegelunterschiede bereits ab 1 dB wahrzunehmen. Zwischen der Hörschwellenkurve und der Unbehaglichkeitsschwellenkurve liegt ein Dynamikbereich von etwa 120 dB, in dem sich die Schallsignale, die uns im Alltag begegnen, verteilen. Der Schalldruck ist jedoch nicht direkt ein Ausdruck der Lautstärke, wie sie vom Hörer wahrgenommen wird. In anderen Worten stehen Schalldruck und empfundene Lautstärke nicht in einem Eins-zu-eins-Verhältnis zueinander.
Abb. 2.17 zeigt das durchschnittliche Lautstärkeempfin- den einer Gruppe Normalhörender. Bei den abgebildeten Kurven handelt es sich um Phon-Kurven. Zur Bestimmung der Phon-Kurven werden ein 1-kHz-Ton mit einer bestimmten Lautstärke und dann ein zweiter Reinton mit einer anderen Frequenz präsentiert. Die Versuchsperson wird dann aufgefordert, die Lautstärke des zweiten Tons so anzugleichen, dass dieser als gleich laut wie der 1-kHz-Ton empfunden wird.
Die Art und Weise, wie das menschliche Ohr Lautstärke wahrnimmt, steht nicht in direktem Verhältnis zum tatsächlichen Schalldruckpegel. Die Phon-Kurven zeigen, wie laut verschiedene reine Töne sein müssen, damit sie bei unterschiedlichen Frequenzen als gleich laut empfunden werden.
Die Phon-Kurven drücken somit aus, bei welchen Schalldruckpegeln die präsentierten Reintöne durch den gesamten Frequenzbereich als gleich laut empfunden werden.
Wie in der Abbildung dargestellt, verändert sich die Form der Phon-Kurven in Abhängigkeit vom Schalldruckpegel. Bei niedrigen Pegeln folgen die Phon-Kurven der geschwungenen Form der Hörschwelle, bei hohen Pegeln tendieren sie jedoch dazu, abzuflachen.
2.5.4. Frequenzauflösung und zeitliche Auflösung
Das menschliche Ohr ist in der Lage, Veränderungen der Tonfrequenz bereits um wenige Hertz wahrzunehmen. Ein Normalhörender besitzt ebenfalls die Fähigkeit, zwei aufeinanderfolgende Schallsignale bei einem Zeitabstand von gerade mal 1–2 Millisekunden identifizieren zu können.
Man geht davon aus, dass die Fähigkeit, diese Besonderheiten der einzelnen Schallsignale unterscheiden zu können, äußerst wichtig ist für unsere Fähigkeit, Sprache wahrnehmen und verstehen zu können.
2.5.5. Maskierung
Beim gleichzeitigen Hören eines leisen und eines lauten Schallsignals ist es oft schwierig, das leise Schallsignal zu hören, weil es vom lauten übertönt wird. Dieses Phänomen wird Maskierung oder Verdeckung genannt. Der Maskierungseffekt ist am ausgeprägtesten, wenn sich das leise Schallsignal im selben Frequenzbereich befindet wie das laute Schallsignal.
Das Phänomen, dass ein lautes Schallsignal ein leiseres Schallsignal verdeckt, nennt man Maskierung oder Verdeckung.
Selbst wenn sich das leise Schallsignal nicht im selben Frequenzbereich befindet wie das laute Schallsignal, kann ein Maskierungseffekt auftreten. Im Englischen spricht man in diesem Fall mitunter von „Remote Masking“, also von einer Fernmaskierung. Eine solche Fernmaskierung ist dann am ausgeprägtesten, wenn das laute Schallsignal eine niedrigere Frequenz besitzt als das leise Schallsignal. Das liegt daran, dass tieffrequente Schallsignale einen großen Teil der Basilarmembran in der Schnecke in Bewegung setzen und so die kleineren Wellen höherer Frequenzen überdecken. Bei einer Maskierung hochfrequenter Schallsignale durch tieffrequente Schallsignale spricht man auch von einer Aufwärtsmaskierung oder Aufwärtsverdeckung.
Eine Maskierung kann auch auftreten, wenn zwei Schallsignale nicht gleichzeitig präsentiert werden, sondern in einem zeitlichen Abstand. Wenn z. B. auf ein lautes Schallsignal nach einer kurzen Pause ein leises Schallsignal folgt, wird das leise Schallsignal maskiert. Dies nennt man Vorwärtsmaskierung oder Nachverdeckung. Eine Vorwärtsmaskierung tritt nicht auf, wenn der Zeitabstand zwischen den beiden Schallsignalen über 200 Millisekunden beträgt.
Der Maskierungseffekt ist ein sehr häufig auftreten des Phänomen, z. B. bei der Kommunikation im Verkehrslärm. Für Normalhörende ist dies in der Regel kein Problem, da das Sprachsignal so viele zusätzliche Informationen enthält, dass das Gesagte trotzdem verstanden werden kann. Einer Person mit Hörminderung können Hintergrundgeräusche es jedoch fast unmöglich machen, eine Unterhaltung zu verstehen, da ein großer Teil des hörbaren Sprachsignals verloren geht.
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