3.2. Die Schallempfindungsschwerhörigkeit
Eine Schallempfindungsschwerhörigkeit rührt von einer Störung in der Schnecke oder im Hörnerv her.
Der Entstehungsort einer Schallempfindungsschwerhörigkeit befindet sich in der Schnecke oder im Hörnerv.
Sehr häufig wird eine Schallempfindungsschwerhörigkeit durch eine Schädigung der Haarzellen auf der Basilarmembran verursacht. In der Regel werden die äußeren Haarzellen zuerst geschädigt, wodurch die Empfindlichkeit für leise Schallsignale reduziert wird.
Ebenfalls beeinträchtigt ist das Lautstärkeempfinden.
In dem Frequenzbereich, in welchem die Empfindlichkeit des Gehörs (das Hörvermögen) reduziert ist, ist der Hörbereich eingeschränkt und das Lautstärkeempfinden komprimiert. Dadurch kann es sein, dass ein Schwerhöriger ein Schallsignal von z. B. 50 dB SPL als leise wahrnimmt, während ein Normalhörender dasselbe Schallsignal als normal laut empfindet. Ein Schallsignal von z. B. 100 dB SPL wird jedoch von beiden als sehr laut wahrgenommen. Dieses Phänomen nennt man Lautheitsausgleich bzw. Recruitment.
Neuere Forschungsergebnisse haben jedoch ergeben, dass Schallsignale, deren Pegel knapp über der erhöhten Hörschwelle liegen, vom Schwerhörigen als verhältnismäßig laut empfunden werden. D. h. das Gehör hat seine Fähigkeit verloren, ein Schallsignal als sehr leise wahrzunehmen. Im Englischen spricht man hier von „Softness Imperception“, also von einem „Nichtempfinden von Leisheit“.
Werden die Haarzellen geschädigt, verbreitert dies die auditorischen Filter in der Schnecke und macht sie damit weniger präzise, wodurch die Frequenzauflösung des Gehörs reduziert wird. Das kann zur Folge haben, dass die Fähigkeit, verschiedene Sprachlaute zu unterscheiden, eingeschränkt ist.
Es ist generell nicht möglich, eine Schallempfindungsschwerhörigkeit medikamentös oder chirurgisch zu behandeln. Eine häufig gewählte Alternative ist daher der Einsatz von Hörsystemen. Eine Schallempfindungsschwerhörigkeit kann in jedem Alter und als Folge einer Vielzahl von Ursachen auftreten. Folgende Arten werden in den nachfolgenden Abschnitten beschrieben:
- Altersschwerhörigkeit
- Lärmschwerhörigkeit
- Genetisch bedingte Schwerhörigkeit
- Angeborene oder frühkindlich erworbene Schwerhörigkeit
- Nervenschwerhörigkeit
3.2.1. Altersschwerhörigkeit
Die Altersschwerhörigkeit, auch Presbyakusis genannt, ist eine der häufigsten Arten der Schallempfindungsschwerhörigkeit. Eine Altersschwerhörigkeit ist die Folge altersbedingter Veränderungen in der Schnecke und in den Hörbahnen.
Sie entwickelt sich typischerweise ab einem Alter von 60 Jahren. Die Hörminderung entwickelt sich symmetrisch auf beiden Ohren und beeinträchtigt die Empfindlichkeit des Gehörs zunächst im hohen Frequenzbereich. Kam es bereits in jüngeren Lebensjahren zu einer Hörschädigung, z. B. durch Lärmbelastung am Arbeitsplatz, stellt diese gleichsam eine zusätzliche Komponente zu der sich natürlich entwickelnden Altersschwerhörigkeit dar.
Die Alterschwerhörigkeit ist eine Folge des ganz normalen Alterungsprozesses. Sie ist gekennzeichnet durch einen fortschreitenden Hörverlust, der bei den hohen Frequenzen beginnt.
Neben der Entwicklung der Schwerhörigkeit selbst kann auch die Fähigkeit, verschiedene Sprachlaute zu unter- scheiden, eingeschränkt sein. Auf höheren Ebenen des Gehirns kann der Alterungsprozess den Erkennungsprozess zur Verknüpfung verschiedener Laute beeinträchtigen.
Schwerhörigkeit kann zu Isolation und verminderter Lebensqualität führen. Abhängig vom Ausmaß der mit der Altersschwerhörigkeit verbundenen Kommunikationsprobleme ist es oftmals sinnvoll, den Gebrauch von Hörsystemen vorzuschlagen.
Zu empfehlen ist eine frühe Versorgung mit Hörsystemen, da es mit zunehmendem Alter häufig physisch und psychisch schwieriger wird, sich an das Tragen von Hörsystemen zu gewöhnen. Ein weiterer entscheidender Faktor besteht darin, dass die schwerhörige Person die Hörminderung als Problem anerkennt und von der Wichtigkeit des Gebrauchs von Hörsystemen überzeugt ist, bevor die Hörsystem-Anpassung eingeleitet wird.
3.2.2. Lärmschwerhörigkeit
In der heutigen Zeit sind wir ständig Schall ausgesetzt – sowohl bei der Arbeit als auch in der Freizeit. Viele dieser Schallsignale können als Lärm angesehen werden, welcher oft störend und ermüdend ist. Eine übermäßige Lärmbelastung kann Hörminderungen verursachen.
3.2.3. Akutes akustisches Trauma
Ein akustisches Trauma – oder Schalltrauma – kann plötzlich auftreten, wenn das Gehör einer kurzzeitigen Schalleinwirkung mit sehr hohem Schalldruck ausgesetzt wird. Dieses Impulsgeräusch kann z. B. durch Feuerwerkskörper oder Schusswaffen verursacht werden, wodurch ebenfalls eine kurzzeitige Druckwelle erzeugt werden kann.
Die Druckwelle verletzt die Haarzellen in der Schnecke und führt damit zu einer akuten Hörminderung, oftmals begleitet von Schwindel und Ohrgeräuschen. Die Hörminderung ist in der Regel nur vorübergehend, wobei eine Besserung innerhalb von ein paar Tagen nach der Lärmbelastung einsetzt. Es ist jedoch nicht immer der Fall, dass sich das Gehör wieder vollständig erholt.
3.2.4. Chronisches akustisches Trauma
Ein akustisches Trauma kann auch aufgrund einer an- dauernden Lärmbelastung auftreten, z. B. durch Lärm am Arbeitsplatz oder bei Berufsmusikern.
Aufgrund dieser Lärmbelastung wird die Empfindlichkeit des Gehörs vorübergehend beeinträchtigt. Man spricht dann von einer vorübergehenden Schwellenverschiebung (Temporary Threshold Shift oder abgekürzt TTS). Wiederholt sich die TTS mehrmals, kann sich daraus auch eine bleibende Schwellenverschiebung entwickeln (Permanent Threshold Shift oder abgekürzt PTS). Die Schädigung der Haarzellen im Innenohr ist dann irreparabel.
3.2.5. Vermeidung lärmbedingter Hörschäden
Bei der Arbeit in einem Umfeld mit hoher Lärmbelastung ist Gehörschutz unerlässlich. Kann die Lärmquelle nicht verringert oder abgeschirmt werden, ist die Verwendung eines Gehörschutzes zu empfehlen, um lärmbedingten Hörschäden vorzubeugen. Zu diesem Zweck steht eine große Auswahl an Gehörschutz zur Verfügung, wie z. B. Schaumstoffstöpsel und spezielle Ohrenschützer.
3.2.6. Genetisch bedingte Schwerhörigkeit
Eine genetisch bedingte Schwerhörigkeit kann bereits bei der Geburt vorhanden sein oder sich erst später im Leben entwickeln. Sie ist häufig durch eine fortschreitende Hörminderung gekennzeichnet, weshalb immer höhere Verstärkungspegel vom Hörsystem notwendig werden.
Ein besonderes Kennzeichen der genetisch bedingten Schwerhörigkeit ist die individuelle Kurvenform der Hörschwellen bei unterschiedlichen Frequenzen im Hörbereich, d. h. das Audiogramm. Bei genetisch bedingten Hörminderungen besteht kein spezifischer Zusammenhang zwischen Frequenzen und Hörschwellen. Z. B. kann eine Art eine Verringerung der Empfindlichkeit bei niedrigen Frequenzen hervorrufen, während eine andere Art eine Hörminderung im mittleren Frequenzbereich zur Folge haben kann.
In den letzten Jahren wurden bei der Identifizierung der Gene, die genetisch bedingte Hörschädigungen auslösen, große Fortschritte gemacht. Man fand heraus, dass bei fast allen Hörverlustarten eine erbliche Komponente eine Rolle spielt. Deshalb kann eine Person z. B. für die Entwicklung einer Altersschwerhörigkeit prädisponiert sein.
3.2.7. Angeborene oder frühkindlich erworbene Schwerhörigkeit
In einigen Fällen liegt die Hörschädigung bereits bei der Geburt vor. Eine solche angeborene Schwerhörigkeit kann die Schalleitung und/oder die Schallempfindung betreffen. Sie kann die Folge besonderer Umstände während der Schwangerschaft oder bei der Geburt sein. Von tausend Kindern werden etwa zwei bis sechs mit einer Hörminderung geboren, die eine Behandlung erfordert.
3.2.8. Genetische Veranlagung
Eine genetisch bedingte Schwerhörigkeit kann bereits bei der Geburt vorhanden sein oder sich erst später im Leben während der Kindheit oder im Erwachsenenalter entwickeln. Die genetisch bedingte Hörminderung muss nicht unbedingt bei einem der Elternteile vorhanden sein. Sie kann Teil einer anderen Krankheit sein, welche Anomalien anderer Körperteile beinhalten und weitere Sinne und Körperfunktionen beeinträchtigen kann.
3.2.9. Infektionen in der Schwangerschaft
Eine weitere mögliche Ursache einer angeborenen Schwerhörigkeit ist eine Infektion in der Schwangerschaft. Früher waren Röteln eine häufige Ursache einer angeborenen Hörschädigung. In Ländern, in denen Impfungen gegen Röteln und andere Viruserkrankungen eingeführt worden sind, fiel die Häufigkeit dieser Art von Hörverlust drastisch. Zu weiteren häufigen Infektionsarten, die zu einer Schwerhörigkeit führen können, zählen Toxoplasmose, Zytomegalie, Herpes simplex und Syphilis.
3.2.10. Komplikationen während der Geburt
Die Hörschädigung kann auch durch Komplikationen während der Geburt ausgelöst werden, z. B. durch eine Blutvergiftung oder in Verbindung mit niedrigem Geburtsgewicht und Sauerstoffmangel. Auch Gelbsucht, die bei Neugeborenen häufig auftritt, kann in schweren Fällen mit einer Hörminderung einhergehen.
3.2.11. Perinatale Infektionen in der ersten Woche nach der Geburt
Neugeborene, besonders Frühgeborene, sind anfällig für Infektionen wie z. B. eine Lungenentzündung. Eine weitere schwerwiegende Infektionskrankheit, die oftmals bei Neugeborenen eine Schallleitungsschwerhörigkeit auslöst, ist Meningitis.
3.2.12. Diagnose einer frühkindlichen Hörminderung
Ungefähr die Hälfte aller schwerhörigen Neugeborenen gehören einer besonderen Risikogruppe an. Diese Risikogruppen stehen oftmals zur Erkennung anderer Komplikationen oder Anomalien unter Beobachtung. Um sicherzustellen, dass das Gehör dieser Babys, die einer Risikogruppe angehören, überprüft wird, sollte die Kontrolle ihres Gehörs Teil der Standarduntersuchungen sein. Falls eine Hörminderung festgestellt wird, ist dann eine frühzeitige Versorgung mit Hörsystemen möglich.
Für die andere Hälfte der schwerhörigen Neugeborenen sind keinerlei Indikatoren bekannt, welche die Hörminderung anzeigen könnten. Ist das Hörscreening nicht Teil der Routineuntersuchungen für Neugeborene, kann es Jahre dauern, bis eine Hörminderung festgestellt wird.
Studien haben gezeigt, dass die frühzeitige Erkennung und Behandlung für die Sprachentwicklung des Kindes von höchster Bedeutung sind. Gerade in den ersten sechs kritischen Monaten der Sprech- und Sprachentwicklung, in denen wichtige Entwicklungsprozesse im Gehirn stattfinden, muss das Gehör des Kindes stimuliert werden. Wird eine Hörminderung während dieser Phase nicht behandelt, kann dies deshalb eine Sprech- und Sprachverzögerung zur Folge haben.
3.2.13. Nervenschwerhörigkeit
Eine besondere Kategorie der Schallempfindungsschwerhörigkeit ist die Nervenschwerhörigkeit, auch genannt „retrokochleäre Störung”. Ihre Ursache ist eine Schädigung der Nervenbahnen zwischen der Schnecke und dem für das Gehör zuständigen Teil des Gehirns. Ein Beispiel für eine retrokochleäre Störung ist Multiple Sklerose.
In seltenen Fällen ist die Störung auf eine Geschwulst am Hörnerv zurückzuführen, auch „Akustikusneurinom“ genannt. Diese Tumorart ist gutartig und wächst sehr langsam.
Zu den anfänglichen Symptomen, verursacht durch den Druck des Tumors auf den Hörnerv, zählen eine leichte Hörminderung, die eingeschränkte Fähigkeit beim Unterscheiden von Sprache und Ohrgeräusche (Tinnitus).
Als weiteres Symptom kann auch Schwindel auftreten, da gemeinsam mit dem Hörnerv auch die Nervenfasern vom Gleichgewichtsorgan verlaufen. Beginnt der Tumor auf den Gesichtsnerv zu drücken, welcher parallel zum Hörnerv verläuft, können Gesichtslähmungen die Folge sein.
Wenn der Tumor übermäßig groß wird und beginnt, auf das Gehirn zu drücken, kann er auch lebensbedrohlich werden. Bei einer operativen Entfernung des Tumors besteht das Risiko, dass der Patient auf der betroffenen Seite sein Hörvermögen verliert und eine Gesichtslähmung die Folge ist.
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