4.1. Audiometrie
Unser Hörvermögen kann durch verschiedene Messverfahren erfasst und abgebildet werden. Für die Bewertung der Hörsensibilität und die Feststellung des Schweregrades und der Ursachen von Hörminderungen steht eine große Vielfalt an verhaltensorientierten und physiologischen Messungen zur Verfügung.
Dieses Kapitel befasst sich mit dem Hörtest, der Messung der Hörschwellen für Luft- und Knochenleitung sowie der Verwendung von Vertäubung in der Audiometrie. Weitere behandelte Themen sind die Sprachaudiometrie, die Hörprüfung bei Kindern und die wichtigsten physiologischen Messungen. Am Ende des Kapitels werden zudem allgemeine Informationen zur Kalibrierung audiometrischer Geräte gegeben.
4.1.1. Der Hörtest
Der Hörtest wird in der Regel in einem schallreflexionsarmen Raum oder einer ebensolchen Prüfkabine durchgeführt. Um Schallreflexionen und stehende Wellen zu reduzieren, bedecken schallabsorbierende Materialien die Wände.
Für die meisten Hörtests wird ein Audiometer benutzt. Das Audiometer ist so kalibriert, dass es Testsignale verschiedener Schalldruckpegel und Frequenzen aussendet. Die Testperson wird angewiesen anzuzeigen, wenn das Prüfsignal hörbar ist, z. B. durch Drücken einer Taste oder durch das Wiederholen der dargebotenen Wörter.
4.1.2. Die dB-HL-Skala und das Audiogramm
Wie in Kapitel 1 „Einführung in die Akustik“ beschrieben, wird der Schalldruckpegel in Dezibel Schalldruckpegel (dB SPL) ausgedrückt, wobei 0 dB SPL einem Schalldruck von 20 μPa entspricht. In Kapitel 2 „Das auditive System“ wurde behandelt, wie die Normal-Hörschwelle für Normalhörende durch den gesamten hörbaren Frequenzbereich in dB SPL dargestellt werden kann.
In der Audiometrie wird zur Angabe der Hörschwellen jedoch nicht die dB-SPL-Skala verwendet. Stattdessen werden Hörschwellen hier in Dezibel Hörpegel (dB HL) ausgedrückt. HL steht hierbei für „Hearing Level“.
Als Referenzbasis für diese Skala dient die Normal-Hörschwellen-Kurve. 0 dB HL entspricht der Normal-Hörschwelle der verschiedenen audiometrischen Testfrequenzen.
Die Einheit Dezibel Hörpegel (dB HL) gibt die Abweichung von der Normal-Hörschwelle in dB an.
Die dB-SPL-Kurve Normalhörender wird zu einer geraden Linie gestreckt und dann als Nulllinie eines neuen Diagramms mit dB-HL-Skala verwendet. Traditionellerweise wird dieses Diagramm zu audiologischen Zwecken auf den Kopf gestellt, sodass die 0 dB-HL-Linie am oberen Rand des Schaubildes liegt. Die grafische Darstellung von dB-HL-Werten nennt man Audiogramm.
Das Audiogramm bildet die Hörschwellen einer Person im Vergleich zu denen Normalhörender ab. Es ist dabei durchaus möglich, dass Teile der Hörkurve über der Nulllinie des Audiogramms liegen, z. B. bei –5 oder –10 dB HL. Negative dB-HL-Werte zeigen an, dass das Gehör der Testperson besser ist als das durchschnittliche normale Gehör. Man darf dabei nicht vergessen, dass die Nulllinie des Audiogramms eben gerade die Normal-Hörschwelle repräsentiert und die Hörschwellen mancher Menschen besser ausfallen können als der Durchschnitt.
Bei einer Person, deren Schwellenwerte bei einer oder mehreren Frequenzen über 30 dB HL liegen (länderabhängig), liegt eine Hörminderung vor. Hörminderungen können z. B. folgendermaßen klassifiziert werden:
4.1.3. Hörprüfung bei Kindern
Bei Kindern lässt sich bis zu einem Alter von ungefähr fünf Jahren in der Regel kein normaler Hörtest mit herkömmlichem Audiometer durchführen. Für jüngere Kinder müssen also andere Testverfahren gewählt werden.
Das Hörvermögen eines Kindes unter etwa sechs Monaten wird durch die Messung der Reaktionen des Gehirns auf Schall mithilfe physiologischer (objektiver) Verfahrensweisen überprüft, wobei während des Tests kleine Elektroden an der Kopfhaut des Kindes angebracht werden.
Im Alter von ungefähr sechs Monaten gewinnt das Kind mehr Kontrolle über seine Motorik. Zu diesem Zeitpunkt kann das Kind für den Hörtest zwischen zwei Lautsprechern sitzen oder Kopfhörer tragen. Wenn das Kind den Kopf zu der Seite dreht, aus welcher der Schall eingespielt wird, wird es durch die Aktivierung eines beleuchteten, sich bewegenden Spielzeugs belohnt. Die Untersuchung älterer Kinder erfordert die aktive Beteiligung des Kindes, z. B. indem es einen Knopf drückt oder einen Bauklotz in eine Kiste legt, wenn das durch den Kopfhörer eingespielte Schallsignal hörbar ist.
Die Verwendung verschiedener Schallquellen kann einen guten ersten Eindruck vom Hörvermögen des Kindes vermitteln.
Die frühzeitige Erkennung und Behandlung einer Hörminderung sind äußerst wichtig für die sprachliche Entwicklung des Kindes. Forschungsergebnisse haben gezeigt, dass bei einem Mangel an sprachlicher Stimulation in den ersten sechs Lebensmonaten die Sprachlernfähigkeit des Kindes verzögert und möglicherweise verringert ist.
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