1.5. Ausbreitung, Reflexion und Beugung von Schall
Wenn ein Stein ins Wasser geworfen wird, breiten sich die Oberflächenwellen kreisförmig aus. Auf ähnliche Weise wie die Oberflächenwellen im Wasser breiten sich Schallwellen in Luft aus.
Ein wesentlicher Unterschied dabei ist aber, dass sich Schallwellen in Luft von der Quelle aus in allen drei Dimensionen ausbreiten – wie eine sich ausdehnende Kugel. Drei unterschiedliche Situationen werden in den folgenden Abschnitten beschrieben:
- die Ausbreitung der Schallwellen in einem Freifeld
- die Reflexion der Schallwellen
- die Beugung (Diffraktion) der Schallwellen
1.5.1. Die Ausbreitung der Schallwellen in einem Freifeld
In einem Freifeld breiten sich die Schallwellen ungestört in alle Richtungen aus. Je größer der Abstand von der Schallquelle ist, desto größer ist der Bereich, über den die Schallenergie verteilt ist, und desto niedriger ist der Schalldruck.
Wenn sich der Abstand von der Schallquelle verdoppelt, reduziert sich der Schalldruckpegel um 50 %, was einer Dämpfung von 6 dB entspricht. Dieser Zusammenhang ist als das Abstandsgesetz bekannt.
Das Abstandsgesetz:
Wenn sich der Abstand von der Schallquelle verdoppelt, reduziert sich der Schalldruckpegel um 6 dB.
1.5.2. Die Reflexion der Schallwellen
Schallwellen breiten sich selten frei im Raum aus. In der Regel gibt es Hindernisse, welche die Ausbreitung der Schallwellen behindern. Wenn Schallwellen auf ein Objekt treffen, z. B. auf eine Wand, wird ein Teil der Wellenenergie von der Wand zurückgeworfen. Dies wird
Reflexion genannt und lässt sich mit der Reflexion des Lichtes von einem Spiegel vergleichen.
Das Ausmaß der Reflexion hängt vom Material der Fläche ab. Eine harte Wand reflektiert einen Großteil der Schallwellenenergie, während ein Wandteppich aus Wolle einen Teil der Schallwellenenergie absorbiert, wodurch die Reflexionen reduziert werden. Ein kleinerer Teil der Schallwellenenergie kann auch durch die Wand übertragen werden, z. B. wenn die Musikanlage im Raum nebenan zu hören ist. Ein typisches Beispiel für Reflexion ist der Schall des Echos, wenn Sie in ein Tal hineinrufen und der Schall von den Bergen zurückgeworfen wird. Wegen des Abstandes kann es verhältnismäßig lange dauern, bis das Echo Ihrer Stimme wieder zu hören ist. Ein anderes Beispiel ist der Widerhall von Worten, die in einem großen Raum ausgesprochen werden, wie z. B. in einer Kirche. Kurz nachdem ein Wort ausgesprochen worden ist, prallen Reflexionen des Wortes von den Wänden im Raum zurück. Wenn die Reflexionen in kurzen
Intervallen aufeinanderfolgen, hört es sich an wie ein andauernder Klang, der langsam absorbiert wird. Dieses Phänomen nennt man auch Nachhall.
Die Nachhallzeit wird definiert als die Zeit, die ab dem Zeitpunkt vergeht, zu dem die Schallquelle aufgehört hat, das Schallsignal zu erzeugen, bis zu dem Zeitpunkt, zu dem sich der Schalldruckpegel um 60 dB reduziert hat. Die Nachhallzeit wird in Sekunden gemessen.
Die Nachhallzeit hängt davon ab, inwieweit die Schallwellenenergie von den Wänden absorbiert wird und ob sich Personen, Möbel, Teppiche oder andere Gegenstände im Raum befinden, welche die Reflexionen zusätzlich reduzieren.
Die akustischen Eigenschaften eines Raumes sind oft an die Funktion des Raumes angepasst. Konzertsäle sind typischerweise auf eine lange Nachhallzeit von bis zu mehreren Sekunden ausgelegt, um so den Klang der Musik noch volltönender zu gestalten. In Unterrichtsräumen
sollte die Nachhallzeit gerade lang genug sein, dass die Stimmen des Lehrers und der Schüler überall im Raum deutlich zu hören sind. Die Nachhallzeit in Wohnzimmern ist oft recht kurz, typisch unter einer Sekunde.
1.5.3. Die Beugung der Schallwellen
Schall kann auch um Ecken biegen oder sich durch Engpässe hindurchschlängeln. Dieses Phänomen nennt man Beugung oder Diffraktion. Sie begegnet uns tagtäglich, z. B. wenn das Martinshorn des Krankenwagens zu hören ist, noch bevor er um die Ecke biegt.
Diffraktion ist die Beugung oder Änderung der Richtung von Schallwellen um ein Objekt im Schallfeld herum oder durch einen Engpass.
Diffraktion entsteht aufgrund der Fähigkeit der einzelnen Luftmoleküle, Nachbarmoleküle anzustoßen. Luft besteht aus vielen Molekülen. Wenn die sich ausbreitende Schallwelle auf eine Gruppe von Luftmolekülen einwirkt, überträgt sich die Bewegung der Luftmoleküle auf die
benachbarten Luftmoleküle – nicht nur in Richtung der sich ausbreitenden Welle, sondern auch in den benachbarten Richtungen. Auf diese Weise kann sich Schall um ein Objekt im Schallfeld herum oder durch einen Engpass in der Wand ausbreiten.
Der Effekt der Diffraktion ist abhängig von der Größe des Objektes, das den Schall blockiert, verglichen mit der Wellenlänge des Schalls. Wenn das Objekt kleiner als die Wellenlänge ist, setzen sich die Wellen fast ungestört auf der anderen Seite des Objektes fort. Wenn das
Objekt größer als die Wellenlänge ist, werden die Schallwellen in größerem Maße vom Objekt reflektiert, und ein Schallschatten entsteht auf der Rückseite des Objektes.
Beispiel: Schattenwirkung des Kopfes
Ein Beispiel für dieses Phänomen ist die Schattenwirkung des Kopfes. Schallwellen, deren Wellenlänge kürzer ist als der Durchmesser des Kopfes (d. h. hohe Frequenzen), werden wegen ihrer Reflexion vom Kopf von einer Seite des Kopfes auf die andere gedämpft. Schallwellen,
deren Wellenlänge größer ist als der Durchmesser des Kopfes (d. h. niedrige Frequenzen), breiten sich fast unverändert auf die andere Seite des Kopfes aus.
Das auditive System nutzt die Informationen über die Phasenunterschiede niedriger Frequenzen und die Schalldruckunterschiede hoher Frequenzen an den beiden Ohren, um die Schallquelle zu lokalisieren.
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