Menschen mit Demenz haben gegenüber der gesetzlichen Krankenversicherung einen Ersatzanspruch bei Verlust eines Hörgeräts.

Der Kläger macht als Rechtsnachfolger seines am 06.02.2020 verstorbenen Vaters (im Folgenden: Versicherter) einen Anspruch auf Erstattung von Kosten für die Ersatzbeschaffung eines verlorenen Hörgerätes geltend.

Der 1929 geborene Versicherte war bei der Beklagten in der Krankenversicherung der Rentner pflichtversichert. Bei ihm war ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 mit den Merkzeichen „B, G, aG, H und RF“ anerkannt. Aufgrund einer beidseitigen Schallempfindungsstörung war er mit Hörgeräten versorgt. Bei dem Versicherten bestand zudem eine Demenz.

Im Rahmen eines stationären Aufenthaltes im Westpfalzklinikum Kaiserslautern kam im August 2018 das rechte Hörgerät abhanden. Unter anderem aufgrund der demenziellen Erkrankung des Versicherten konnte der Verlust nicht näher erklärt werden.

Unter Vorlage einer Verordnung des HNO-Arztes Dr. M. vom 09.10.2018 beantragte der Versicherte bei der Beklagten die Gewährung eines neuen Hörgerätes für das rechte Ohr.

Mit Bescheid vom 11.10.2018 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme ab, da dem Versicherten bereits im Juli 2016 nach Verlust eine vorzeitige Versorgung („aus Kulanz“) bewilligt worden war. Bereits bei dieser Bewilligung sei dem Versicherten mitgeteilt worden, dass eine nochmalige Kostenübernahme bei Verlust aufgrund des in § 12 SGB V festgeschriebenen Wirtschaftlichkeitsgebotes ausgeschlossen sei.

Der hiergegen für den Versicherten eingelegte Widerspruch wurde u.a. damit begründet, dass der Versicherte aufgrund der bei ihm .bestehenden gesundheitlichen Einschränkungen im Krankenhaus voll und ganz auf die Hilfe der Pflegekräfte angewiesen gewesen sei. Aufgrund der bestehenden Hilflosigkeit habe er demnach das Hörgerät weder selbst verlegen noch verlieren können. Bereits zuvor sei das Hörgerät bei einem Kleidungswechsel herausgerissen worden und in der Schmutzwäsche gelandet. Es sei von einem Pfleger entdeckt und auf den Nachttisch gelegt worden. Wann und wie es von dort verschwunden sei, wisse man nicht. Der Versicherte sei unschuldig an dem Verlust. Es sei ihm nicht zuzumuten, mit nur einem Hörgerät auszukommen oder das zweite Gerät auf eigene Kosten zu ersetzen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 13.02.2019 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Werde die Instandsetzung oder Ersatzbeschaffung infolge einer Pflichtwidrigkeit des Versicherten erforderlich, trete die Leistungspflicht der Krankenkasse nicht ein, wenn dem Versicherten Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit zur Last falle. Die Beklagte sei ihrer Verpflichtung zur Ersatzbeschaffung innerhalb des Versorgungszeitraums von 6 Jahren bereits mit der Genehmigung im Juli 2016 nachgekommen, da bereits die damals vorhandene Versorgung verloren worden war. Eine nochmalige Ersatzbeschaffung sei im Gesetz nicht vorgesehen und widerspreche auch dem in § 12 Abs. 1 SGB V geregelten Wirtschaftlichkeitsgebot. Versicherte könnten ansonsten beliebig oft eine Ersatzbeschaffung verlangen.

Der Versicherte hat das Hörgerät auf eigene Kosten ersetzt. Mit Rechnung vom 21.12.2018 hat der Leistungserbringer Hörgeräte O. dem Versicherten für die Ersatzversorgung des rechten Ohres 1.303 Euro in Rechnung gestellt, wovon der Haftpflichtversicherer des Krankenhauses dem Kläger einen Kostenanteil von 594,50 Euro erstattet hat.

Am 13.03.2019 hat der Versicherte die vorliegende Klage erhoben, mit der er geltend machte, er sei im Krankenhaus völlig auf die Hilfe des Pflegepersonals angewiesen gewesen. Ihm könne daher weder Vorsatz noch grobe Fahrlässigkeit vorgeworfen werden. Das Hörgerät sei im Krankenhaus verloren gegangen, wo er es aufgrund seiner Hilflosigkeit weder selbst habe verlegen noch verlieren können. Das Hörgerät sei zuvor schon mal beim Kleidungswechsel herausgefallen und in der Schmutzwäsche gelandet.

Nachdem der Versicherte am 06.02.2020 verstarb, hat der Sohn des Versicherten als dessen Rechtsnachfolger das Verfahren fortgeführt.

Der Kläger beantragt schriftsätzlich, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 11.10.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.02.2019 zu verurteilen, an den Kläger 708,50 Euro netto zu zahlen.

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich, die Klage abzuweisen.

Zur Begründung macht die Beklagte nunmehr geltend, der Versicherte habe die ihm obliegende Sorgfaltspflicht in besonders schwerem Maße verletzt, da er schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt habe. Es läge auf: der Hand, dass ein kleiner Gegenstand wie ein Hörgerät schnell verloren gehe, wenn er offen auf einem Nachttisch im Krankenhaus liege. Dem Versicherten habe einleuchten müssen, dass er das Hörgerät zumindest in eine Verpackung und in die Schublade habe legen müssen. Deshalb sei dem Versicherten grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der Beratung und Entscheidungsfindung war.

Gericht: SG Speyer 19. Kammer

Aktenzeichen: S 19 KR 679/19

Urteil vom: 19.02.2021

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