Seit über einem Jahr stehen die ersten digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) flächendeckend als neue Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zur Verfügung. In dem Bericht zum Zeitraum 1.9.2020 bis 30.9.2021 zieht der GKV-Spitzenverband nun erste Bilanz zur Inanspruchnahme und Entwicklung der Versorgung mit digitalen Gesundheitsanwendungen und fordert Anpassungen bei den gesetzlichen Rahmenbedingungen. Insgesamt wurden in dem Berichtszeitraum rund 50.000 DiGA ärztlich verordnet oder von den Krankenkassen genehmigt, davon wurden lediglich knapp 80 Prozent bereits aktiviert. Zu den Digitalen Gesundheitsanwendungen im Bereich „Ohren“ gehören u. a. die Apps „Tinnitracks“ und „Kalmeda„.
Auffällig ist, dass nur ein Viertel der Anwendungen dauerhaft ins BfArM-Verzeichnis aufgenommen wurde und ihren Nutzen belegen konnte. Drei Viertel hingegen sind weiterhin nur zur Erprobung gelistet, da sie innerhalb eines Jahres noch keine positiven Versorgungseffekte nachweisen konnten. „Der Bericht zeigt: Bei den DiGA ist nicht alles Gold, was glänzt. Obwohl der Gesetzgeber mit einem großen Vertrauensvorschuss den Herstellern maximalen Freiraum geschaffen hat, um Produkte auf den Markt zu bringen, die die Versorgung der Versicherten maßgeblich verbessern, konnten die Erwartungen bisher kaum erfüllt werden. Das zeigt die hohe Quote der nur zur Erprobung gelisteten Anwendungen deutlich. Dabei haben DiGA großes Potential. Sie könnten Brücken schlagen zwischen Patientinnen und Patienten, deren Behandelnden, den Versorgungsbereichen und den unterschiedlichen Fach- und Berufsgruppen. Analysen legen aber auch nahe, dass sie derzeit statt als funktionales Scharnier eher als Begleitung oder Coach ausgestaltet werden. Wenn eine DiGA bloß Leitlinieninhalte oder Selbsthilfe-Manuale digital abbildet, ist der Innovationscharakter begrenzt. Nach über einem Jahr DiGA sieht die GKV eine eher verhaltene Nachfrage. Vor dem Hintergrund des geringen Innovationscharakters und der fehlenden Nutzennachweise kann das niemanden überraschen“, so Stefanie Stoff-Ahnis, Vorstand beim GKV-Spitzenverband.
Hohes Preisniveau bei DiGA
DiGA könnten die Versicherten dazu befähigen, ihre Versorgung aktiv mitzugestalten und zu Behandlungserfolgen selbst beizutragen. Allerdings legen die gesetzlichen Bedingungen, unter denen die DiGA in den gesetzlichen Leistungskatalog integriert sind, zu wenig Wert auf den positiven Versorgungsnutzen für die Patientinnen- und Patienten und sie führen zu überhöhten Preisen. Das Preisspektrum bei den DiGA erstreckt sich von 119 Euro bis 744 Euro für drei Monate. Der durchschnittliche Preis liegt bei rund 400 Euro im Quartal.
„Auch wenn kein innovatives Konzept besteht und keine Evidenz vorliegt, müssen die Preise bei einer DiGA in Erprobung bis zu zwei Jahre von der GKV finanziert werden. Dabei dürfen die Hersteller die Preise im ersten Jahr in beliebiger Höhe festlegen. Es liegt auf der Hand, dass bei potenziellen Ausgaben dieser Größenordnung ein beträchtlicher positiver Effekt für die Versorgung eingefordert werden muss. Dies für alle DiGA zu garantieren, ist die gemeinsame Aufgabe für die kommenden Jahre. Auch, weil DiGA als digitale Vorreiter entweder Innovationen den Boden bereiten oder ihn aber verbrennen können“, so Stoff-Ahnis.
Nutzen zählt, nicht Downloads
DiGA haben das Potential, die Versorgung der 73 Millionen gesetzlich Versicherten dauerhaft und wirtschaftlich zu verbessern. Um dieses Potential heben zu können, brauchen die gesetzlichen Rahmenbedingungen jedoch ein Update. Dabei stehen für den GKV-Spitzenverband drei zentrale Punkte im Fokus: Der wissenschaftliche Nachweis des medizinischen Nutzens für die Versicherten muss durch die herstellenden Unternehmen gewährleistet sein. Eine DiGA sollte eine echte Innovation mit einem belegten Mehrwert für die Versorgung sein. Und die Preise für eine DiGA dürfen von den Herstellenden im ersten Jahr nicht mehr beliebig festgelegt werden. „Um langfristig die Erwartungen zu erfüllen und die Anschubfinanzierung und den Vertrauensvorschuss zu verdienen, die mit dem neuen Leistungsbereich verbunden sind, muss das Missverhältnis hinsichtlich der vergleichsweise niedrigen Zugangsvoraussetzungen für DiGA, der geringen Innovationskraft und ihrer fehlenden Wirtschaftlichkeit konstruktiv weiterentwickelt werden. Wir wollen therapeutischen Nutzen für Patientinnen und Patienten bezahlen und keine Downloads“, so Stoff-Ahnis.
Viele der in die Regelversorgung aufgenommenen DiGA beziehen sich auf Krankheitsbilder mit sehr hohen Prävalenzen und potenziellen Nutzerzahlen in der GKV. Ein Schwerpunkt zeigt sich im Bereich der psychischen Erkrankungen, auf welchen sich die Hälfte der im BfArM-Verzeichnis im Berichtszeitraum gelisteten 20 DiGA bezieht. Ein weiterer Fokus stellen Erkrankungen des Nervensystems dar. Mit fast 90 Prozent wurde die überwiegende Mehrheit der DiGA ärztlich oder psychotherapeutisch verordnet, ca. 10 Prozent der DiGA kamen nach Genehmigung durch die Krankenkasse zur Anwendung. Rund ein Drittel der Verordnungen wurden durch Hausärztinnen und Hausärzte und 20 Prozent durch Fachärztinnen und Fachärzte für Hals-Nasen-Ohren- Heilkunde ausgesprochen.
Zum DiGA-Bericht geht es hier: www.gkv-diga.de