MU-Studie an Mäusen zeigt: Axone, die regelmäßig stimuliert werden, geben Leistungssteigerungen nicht an ihre Nachbarn weiter.
Im Gehirn sorgt ein komplexes Geflecht von Nervenfasern und Synapsen für die Weiterleitung von Informationen. Wird eine Nervenzelle angeregt, gibt sie Signale in Form elektrochemischer Impulse weiter, die über die Membran langer Nervenzellfortsätze, sogenannter Axone, verlaufen. Wie schnell diese Informationsübertragung funktioniert, hängt von verschiedenen Faktoren wie beispielsweise dem Durchmesser des Axons ab. Für Wirbeltiere, bei denen das vergleichsweise große Gehirn in einem massiven Schädelknochen eingeschlossen ist, spielt ein weiterer platzsparender Mechanismus eine große Rolle: die sogenannte Myelinisierung. Dabei handelt es sich um den Aufbau einer Biomembran, die sich um das Axon wickelt und die Geschwindigkeit der Erregungsleitung erheblich beschleunigt. Je dicker diese Myelinscheide ausgebildet ist, desto schneller die Übertragung.
„Die Myelinisierung ist integraler Bestandteil der neuronalen Verarbeitung im Wirbeltiergehirn, aber die Mechanismen der Anpassungsfähigkeit von Myelin sind noch nicht umfassend geklärt“, sagt Dr. Conny Kopp-Scheinpflug, Neurobiologin am Biozentrum der LMU. Sie ist Leiterin einer kürzlich im Fachmagazin Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) veröffentlichten Studie, die neue Erkenntnisse über die Prinzipien der Myelinisierung liefert. Die Forschenden gingen dabei der Frage nach, wie sich sensorische Stimulation auf die Ausbildung der Myelinschicht auswirkt. „Wir wissen, dass Axone, die regelmäßig angeregt werden, über eine verstärkte Myelinscheide verfügen“, erklärt Dr. Mihai Stancu, Erstautor der Publikation. Regelmäßiges Training verbessere also die Übertragungsleistung. Unklar sei jedoch, ob diese Anpassung auf der Ebene der einzelnen Nervenfasern erfolge oder die Myelinisierung sich auch auf benachbarte, nicht stimulierte Axone in einem Faserbündel übertrage.
Wer kognitiv fit bleiben will, sollte sein Gehirn möglichst vielseitig trainieren.
CONNY KOPP-SCHEINPFLUG
Um das herauszufinden, untersuchten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die neuronale Aktivität von Mäusen. „Wir haben uns speziell das auditorische System angeschaut, weil es eine getrennte Aktivierung der linken und rechten neuronalen Schaltkreise ermöglicht“, erklärt Kopp-Scheinpflug. Dazu machte das Team die Labormäuse vorübergehend auf einem Ohr schwerhörig, indem sie es mit einem Ohrstöpsel verschlossen. So wurde über den Versuchszeitraum eine Seite akustisch stärker stimuliert als die andere. „Überraschenderweise enthielten alle von uns untersuchten Nervenbündel im Gehirn sowohl Axone, die Information vom rechten Ohr übermitteln, als auch solche, die Informationen des linken Ohrs weitergeben“, so Stancu. Die künstlich erzeugte einseitige Schwerhörigkeit ermöglichte es den Forschenden deshalb, ihre Hypothese zu überprüfen.
Das Ergebnis: In den gemischten Nervenbündeln waren nur die Myelinscheiden derjenigen Axone verstärkt, die zum aktiven Ohr gehörten. Das Training des einen Ohrs übertrug sich neuronal also nicht auf das andere, selbst wenn die entsprechenden Nervenfasern dicht beieinander lagen. „Es scheint das Prinzip zu gelten: Jedes Axon trainiert für sich allein“, meint Kopp-Scheinpflug. „Die Aktivität des einen Input-Kanals kann also die Defizite des anderen nicht ausgleichen.“ Die Autorinnen und Autoren schließen daraus, dass eine vielseitige sensorische Erfahrung während der gesamten Lebensspanne eines Menschen von zentraler Bedeutung ist. „Wer kognitiv fit bleiben will, sollte sein Gehirn also möglichst vielseitig trainieren.“