Im-Ohr-Hörgeräte haben in letzter Zeit stark an Beliebtheit gewonnen. Ein Grund ist die Tatsache, dass die Mini-Hörgeräte im Ohr in Zeiten von Corona einen klaren Vorteil haben: Sie können beim auf- und absetzen der Maske nicht so leicht abfallen, wie Hinter-dem-Ohr-Hörgeräte.
Gleichzeitig sind die kleinen Hörgeräte im Ohr nahezu unsichtbar und räumen mit dem Stigma auf, dass Hörgeräte groß und hässlich sind. Das macht sie attraktiv. So wünschen sich viele unwissende Endverbraucher ein Im-Ohr-Hörgerät, ohne jemals Erfahrungen damit gemacht zu haben.
Dieser Beitrag setzt sich mit dem Thema Im-Ohr-Hörgeräte auseinander. Er zeigt welche Arten von Im-Ohr-Hörgeräten es gibt und welche Vorteile und Nachteile damit einhergehen. Abschließend wird die Frage erörtert, für wen Im-Ohr-Hörgeräte geeignet sind und wer sich lieber ein Hinter-dem-Ohr-Hörgerät anschafft.
Was sind Im-Ohr-Hörgeräte?
Grundsätzlich unterscheidet man zwischen Hinter-dem-Ohr-Hörgeräten (HdO) und Im-Ohr-Hörgeräten (IdO). Hinter-dem-Ohr-Hörgeräte werden – wie der Name schon sagt – hinter dem Ohr getragen. Hier sitzen die komplette Elektronik sowie der Empfänger hinter dem Ohr.
Eine Sonderrolle bei den HdO-Hörgeräten spielen die sogenannten RIC-Hörgeräte. Die Abkürzung RIC steht für „Receiver-in Canal“, was soviel wie „Empfänger im Gehörgang“ bedeutet. Hier sitzt die Elektronik hinter dem Ohr und der Empfänger im Gehörgang.
Schließlich gibt es noch die Im-Ohr-Hörgeräte. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie im Gehörgang sitzen. Doch auch innerhalb dieser Hörgeräte-Gattung gibt es unterschiedliche Arten von Bauformen.
Welche Arten von Im-Ohr-Hörgeräten gibt es?
Es gibt vier verschiedene Arten von Im-Ohr-Hörgeräten. Sie unterscheiden sich hauptsächlich in ihrer Größe und darin, wie tief sie im Gehörgang sitzen. Ihre Bezeichnung leitet sich von ihrer englischen Beschreibung bzw. Funktion ab.
Es gibt folgende Arten von Im-Ohr-Hörgeräten:
ITE (in-the-ear)
ITE steht für „in-the-ear” und bedeutet „im Ohr“. Bei diesem Modell befindet sich das Gerät in der Ohrmuschel.
ITC (in-the-canal)
ITC steht für „in-the-canal” und bedeutet „im Gehörgang“. Hier befindet sich das Gerät im Gehörgang.
CIC (completely-in-canal)
CTC steht für „completely-in-canal” und bedeutet „im Gehörgang“. Hier befindet sich das Gerät vollständig im Gehörgang. Es kann an einem Zugfaden aus Nylon aus dem Gehörgang herausgezogen werden.
IIC (invisible-in-canal)
IIC steht für „invisible-in-canal“ und bedeutet „unsichtbar im Gehörgang“. Das Gerät befindet sich so tief im Gehörgang, dass es nicht mehr sichtbar ist. Auch hier dient ein Zugfaden dazu, das Gerät aus dem Gehörgang herauszuholen.
Angefangen mit dem ITE-Hörgerät bis hin zum IIC-Hörgerät werden die Hörgeräte immer kleiner. Je kleiner die Hörgeräte sind, desto eingeschränkter ist in der Regel auch ihr Funktionsumfang. So ist es oft so, dass die kleinsten IdO-Hörgeräte weder über eine Bluetooth-Anbindung verfügen noch über eine wiederaufladbare Batterie bzw. einen Akku.
Da Im-Ohr-Hörgeräte im Gehörgang sitzen, werden sie – bis auf wenige Ausnahmen – individuell an den Gehörgang des Trägers angepasst. Dazu wird eine Ohrabformung genommen auf deren Grundlage eine Otoplastik modelliert wird.
Hier gibt es weitere Informationen zum Thema Otoplastiken.
Die Vorteile und Nachteile von Im-Ohr-Hörgeräten
Im Folgenden werden wir die Vorteile und Nachteile von Im-Ohr-Hörgeräten anhand zahlreicher Kriterien erörtern. Diese reichen vom Aussehen, dem Tragekomfort und der Handhabung über den Klang bis hin zum Funktionsumfang und der Haltbarkeit sowie dem Preis der Hörgeräte.
Aussehen von Im-Ohr-Hörgeräten
Im-Ohr-Hörgeräte sind unauffällig, diskret und – abhängig von der Bauform – unsichtbar. Das ist ein klarer Vorteil von IdO-Hörgeräten. Denn was nicht zu sehen ist, kann auch nicht schlecht aussehen.
Auch das Marketing hat das „unsichtbare Hörgerät“ für sich entdeckt. Zahlreiche Werbekampagnen versuchen den Endverbraucher damit zu erreichen – nicht ohne Erfolg. Oft werden Hörakustiker bereits beim Betreten des Fachgeschäfts damit konfrontiert.
Dabei lässt der Kunde außer Acht, dass auch moderne HdO- bzw. RIC-Hörgeräte mittlerweile so klein sind, dass sie völlig unauffällig sind. Das gilt insbesondere bei Frauen, die ihre Hörgeräte unter den längeren Haaren verschwinden lassen können.
Tragekomfort von Im-Ohr-Hörgeräten
Durch den anatomisch angepassten Sitz der Ohrpassstücke sitzen Im-Ohr-Hörgeräte sehr gut und sorgen für ein Höchstmaß an Tragekomfort. Das gilt insbesondere für Brillen- und Maskenträger, die durch den Sitz im Gehörgang nicht darauf achten müssen, dass das Brillengestell oder die Maskenhalterung mit dem Hörgerät hinter dem Ohr kollidiert. Auch Sportler profitieren von dieser Eigenschaft.
Jedoch eignet sich nicht jeder Gehörgang für ein Im-Ohr-Hörgerät. Ist der Gehörgang zu eng oder zu unförmig, dann können Probleme beim Tragen der Geräte aufkommen. Hier ist man mit einem Hinter-dem-Ohr-Hörgerät besser aufgehoben.
Handhabung von Im-Ohr-Hörgeräten
Einer der Nachteile von Mini-Hörgeräten ist die Handhabung. Kleine Hörgeräte bedeuten kleine Batterien, kleine Batteriefächer und kleine Schalter. Insbesondere für Menschen mit eingeschränkter Motorik – sei es durch Arthrose oder Rheuma – sind Im-Ohr-Hörgeräte deutlich schwieriger zu bedienen als Im-Ohr-Hörgeräte.
Vorteilhaft ist die Tatsache, dass Im-Ohr-Hörgeräte aufgrund ihres Sitzes im Gehörgang seltener verloren gehen. Zudem kann man mit ihnen beim Telefonieren den Hörer wie gewohnt direkt ans Ohr halten und muss nicht darauf achten, dass der Empfänger hinter dem Ohr sitzt.
Klang von Im-Ohr-Hörgeräten
Im-Ohr-Hörgeräte verfügen über einen sehr natürlichen Klang. Der Grund: Da der Empfänger im Gehörgang sitzt kann die Ohrmuschel ihrer Abschattungsfunktion nachkommen. Hörgeräte, deren Empfänger nicht im Gehörgang sitzen, müssen die Richtcharakteristik der Ohrmuschel künstlich nachahmen. Hier spricht man vom Pinna-Effekt (Ohrmuschel-Effekt).
Von Vorteil bei Im-Ohr-Hörgeräten ist außerdem, dass der Empfänger keinen störenden Windgeräuschen oder dem Rascheln von Haaren, die über das Mikrofon streifen, ausgesetzt ist.
Nachteilig bei Im-Ohr-Hörgeräten wirkt sich der Okklusionseffekt aus. Dabei klingt z.B. die eigene Stimme hohl oder dröhnend. Der Okklusionseffekt kommt dadurch zustande, dass die Vibrationen der eigenen Stimme oder der körpereigenen Geräusche aufgrund des Ohrpassstückes nicht aus dem Ohr entweichen können. Das Problem kann jedoch durch Entlüftungsröhrchen im Hörgerät gelöst werden.
Ein weiteres Problem kann durch die Rückkopplung des Schalls entstehen. Bei Im-Ohr-Hörgeräten liegen Mikrofon und Schallwandler sehr nahe beieinander. Das kann zu Rückkopplungseffekten und den damit verbundenen unangenehmen Pfeiftönen führen. Ist das der Fall, muss z.B. die Lautstärke reduziert werden. Alternativ verfügen moderne Hörgeräte auch über eine (digitale) Funktion zur Rückkopplungsunterdrückung.
Einsatzmöglichkeiten von Im-Ohr-Hörgeräten
Aufgrund der eingeschränkten Möglichkeit in Im-Ohr-Hörgeräten leistungsfähige (und damit große) Batterien zu verwenden, kann eine Schallverstärkung nur für einen eingeschränkten Zeitraum garantiert werden. Daher eignen sich Im-Ohr-Hörgeräte in der Regel nur für leichte bis mäßige Grade an Schwerhörigkeit. Einen schweren Hörverlust (WHO4) können Im-Ohr-Hörgeräte nicht abdecken.
Energieversorgung von Im-Ohr-Hörgeräten
Je kleiner die Hörgeräte, desto kleiner sind die dafür verwendeten Batterien. Kleine Batterien gehen wiederum mit einer kürzeren Batterielaufzeit und weniger Leistung einher. Aufgrund der Größe gibt es bislang auch nur sehr wenige Im-Ohr-Hörgeräte mit Akku. Die wenigen wiederaufladbaren IdO-Hörgeräte die es gibt, befinden sich daher nicht nur im Gehörgang, sondern auch in der Ohrmuschel.
Funktionsumfang von Im-Ohr-Hörgeräten
Mit abnehmender Größe nimmt leider auch der Funktionsumfang von Im-Ohr-Hörgeräten ab. Die kleinsten Im-Ohr-Hörgeräte verfügen daher auch nicht über eine Bluetooth-Verbindung. Diese ist Voraussetzung für zahlreiche Funktionen, die über das Handy mit Hilfe einer App zur Verfügung gestellt werden können – angefangen beim Streamen von Audio-Inhalten, über das freihändige Telefonieren, dem Regeln der Mikrofon- und Klang-Einstellungen bis hin zu eigens entwickelten Tinnitus-Programmen.
Als Alternative zur Fernbedienung über eine Bluetooth-Verbindung stellen einige Hersteller Apps zur Verfügung, die die Hörgeräte über das Aussenden hochfrequenter Töne fernsteuern. So können zumindest einfache Einstellungen, wie z.B. die Lautstärke vorgenommen werden.
Hygiene und Pflege von Im-Ohr-Hörgeräten
Aufgrund der mangelnden Belüftung des Gehörgangs beim Tragen von Im-Ohr-Hörgeräten ist die richtige Pflege der Geräte sehr wichtig. Im-Ohr-Hörgeräte sollten täglich desinfiziert, gesäubert und z.B. mit Trockengeräten für Hörgeräte getrocknet werden.
Menschen deren Gehörgänge sehr feucht sind oder nässen, sollten auf Im-Ohr-Hörgeräte verzichten. Zwar kann mit einer Belüftungsbohrung (Vent) für einen Luftaustausch gesorgt werden. Oft reicht das jedoch nicht aus.
Ähnliches gilt für Personen, die unter einer vermehrten Produktion von Cerumen (Ohrenschmalz) leiden oder empfindliche Gehörgänge haben, die zu Entzündungen neigen. Hier ist ein Im-Ohr-Hörgerät sicherlich fehl am Platz.
Preis und Haltbarkeit von Im-Ohr-Hörgeräten
Wie bei allen Hörgeräte-Bauformen gibt es auch Im-Ohr-Hörgeräte in allen Preisklassen. Tendenziell sind Im-Ohr-Hörgeräte jedoch teurer als Hinter-dem-Ohr-Hörgeräte, da der Anpassungsprozess länger und schwieriger ist.
Weitere Einflussfaktoren für den Preis sind die verwendeten Otoplastiken. Je nach Art und Material kann es hier zu erheblichen Aufschlägen kommen.
Das gilt für den Zeitverlauf der Verwendung von Im-Ohr-Hörgeräten. Zum einen sollten die Ohrpassstücke alle 2 bis 4 Jahre erneuert werden. Zum anderen sitzt die Elektronik bei Im-Ohr-Hörgeräten direkt im Gehörgang und ist dort Feuchtigkeit, Körperschweiß und Ohrenschmalz ausgesetzt. Das kann zu einer erhöhten Reparaturanfälligkeit und entsprechenden Folgekosten führen.
Die Vorteile und Nachteile von Im-Ohr-Hörgeräten im Überblick
Der besseren Übersicht zuliebe werden die Vorteile und Nachteile von Im-Ohr-Hörgeräten hier noch einmal kurz zusammengefasst.
Vorteile von Im-Ohr-Hörgeräten
- Unauffällig, diskret und (nahezu) unsichtbar
- Hoher Tragekomfort
- Gut geeignet für Brillen- und Maskenträger
- Gut geeignet für Sportler
- Natürlicher Klang
- Keine störenden Windgeräusche oder Geräusche von raschelndem Haar
Nachteile von Im-Ohr-Hörgeräten:
- Schwer bedienbar für Menschen mit eingeschränkter Motorik
- Nicht für jeden Gehörgang geeignet
- Körpereigene Geräusche können zu laut und hohl klingen
- Neigung zur Rückkopplung (Piepston)
- Kürzere Batterielaufzeit
- Weniger leistungsstark
- Teilweise eingeschränkter Funktionsumfang (z.B. kein Bluetooth)
- Weniger robust, empfindlicher
- Nicht geeignet für hohe Grade an Schwerhörigkeit (WHO4)
- Sehr pflegebedürftig
- Eher hochpreisig
Fazit – Für wen eignen sich Im-Ohr-Hörgeräte?
Im-Ohr-Hörgeräte liegen im Trend. Keine Frage. Gründe dafür sind die Ästhetik, das vermehrte Tragen von Masken sowie gutes Marketing von Seiten der Hersteller. Dennoch ist nicht alles Gold, was glänzt. So gehen Im-Ohr-Hörgeräte auch mit zahlreichen Nachteilen einher, die insbesondere Endverbraucher in ihrer anfänglichen Begeisterung nicht berücksichtigen.
Am Ende gilt es bei der Entscheidung für oder gegen ein Im-Ohr-Hörgerät stets alle Vorteile und Nachteile im Hinblick auf die individuelle Situation des Trägers abzuwägen. Wie wird das Hörgerät im Alltag eingesetzt? Verfügt der Hörgeräte-Träger über die erforderlichen anatomischen Eigenschaften? Welche Ansprüche stellt der Kunde an den Funktionsumfang des Im-Ohr-Hörgeräts und – nicht zu vergessen – kann der Nutzer sich das Gerät überhaupt leisten.
Dieser Beitrag soll den interessierten Leser bei der Entscheidung für oder gegen ein Im-Ohr-Hörgerät unterstützen. Alternativ kann das auch ein Hörakustiker des Vertrauens vor Ort übernehmen. Aber wie sagt man so schön: „Vertrauen ist gut! Kontrolle ist besser!“