Leitfaden für die strukturierte Feinanpassung
Inhaltsverzeichnis
2. Fallstricke bei der Voreinstellung
4. Die sprachliche Vermittlung
5. Spezifische und unspezifische Kundenbewertungen
12. Die Verknüpfung von In-Situ Perzentilanalyse und Feinanpassung
1. Einleitung
Mit dem herstellerseitig vorgeschlagenen First Fit ist in der Regel noch keine brauchbare Einstellung für den Hörsystemträger gefunden. Ein durchdachter und strukturierter Fahrplan für den Feinanpassungsprozess – ausgeführt mit Fingerspitzengefühl und Erfahrung – wird die Qualität der Hörsystemanpassung entscheidend verbessern und das technologische Potential voll ausschöpfen.
2. Fallstricke bei der Voreinstellung
Als Ausgangspunkt für die Erstprogrammierung verwenden Hörsystemhersteller in ihren Modulen eigene Anpassformeln oder universell verfügbare Verfahren wie NAL NL2 oder DSL v5. Als Dateninput für diese Berechnung werden ausschließlich tonaudiometrische Messwerte verwendet. Die Luftleitungshörschwellen werden grundsätzlich für die Berechnung herangezogen und sind bei einigen Hörsystemherstellern auch im Rahmen einer In-Situ-Audiometrie messbar. Individuelle Knochenleitungshörschwellen und Unbehaglichkeitsgrenzen werden nicht bei allen Anpassverfahren in die Vorberechnung einbezogen, sondern stattdessen durch statistische Werte (in der Regel nach Pascoe) ersetzt. Auch bei der In-Situ-Audiometrie bleiben Schallleitungsanteile und Unbehaglichkeitsgrenzen leider oft unbeachtet. Daraus ergibt sich für Hörakustiker (die männliche Form schließt die weibliche in der Folge mit ein) das grundsätzliche Problem, dass die Qualität der Voreinstellung nur dann akzeptierbar ist, wenn die geschätzten audiologischen Daten mit den real vorliegenden übereinstimmen. Weichen zum Beispiel die ermittelten Unbehaglichkeitsgrenzen von den statischen Werten stark ab, ist eine Fehlkalkulation der kanalabhängigen Kompressionsparameter sowie der MPO zu erwarten. Weitere Einflussgrößen für die Erstprogrammierung sind die Details der akustischen Ankopplung, wie etwa die Größe des Vents. Die Berücksichtigung solcher Werte erfolgt sowohl herstellerspezifisch als auch in Abhängigkeit vom jeweiligen Anpassverfahren. Dabei treten zum Teil von Hersteller zu Hersteller ganz erhebliche Unterschiede auf. Bei einer Reihe von Programmiermodulen ist es möglich, eine vorher gemessene Real Ear Unaided Gain (REUG) aus dem Messsystem in die Anpasssoftware zu importieren. Zusätzlich ist eine Akklimatisierungsstufe wählbar, um den Grad der Hörentwöhnung zu berücksichtigen. Weitere Optionen wie etwa die Art des in der Audiometrie verwendeten Schallwandlers sind zum Teil erst in einer tieferen Ebene der Einstelloptionen zu finden. Sie sollten aber sorgfältig geprüft und gezielt eingestellt werden, um Fehler bei der Erstprogrammierung auszuschließen. Vergleicht man nun auf Basis von identischen Audiogrammdaten und bei sonst gleichen Rahmenbedingungen die Ersteinstellvorschläge verschiedener Hersteller, unterscheiden sich diese sehr auffällig. Daher müssen sie sorgfältig an die Kundenbedürfnisse angepasst werden. Zusätzlich müssen auch der individuelle Hörgeschmack und die persönlichen Hörziele berücksichtigt werden. So wird zum Beispiel ein Berufsmusiker andere klangliche Präferenzen haben als der von der Vorprogrammierung vermutete Durchschnittskunde. Die Einbeziehung von Kundenbedürfnissen, Hörgeschmack sowie Grad der Deprivation in den Feinanpassungsprozess erhöht den Erfolg der angestrebten Rehabilitation und damit auch die Qualität der Anpassung entscheidend.
Grundsätzlich muss vor der Inbetriebnahme des Hörsystems und dem Start der Feinanpassung aus Kundenschutzgründen die Einstellung des maximalen Ausgangsschalldruckpegels (MPO) erfolgen.
3. Struktur im Detail
Wie gelingt es nun, einen roten Faden in der Feinanpassung zu etablieren? Durch eine geeignete Struktur ist es möglich, sowohl ein hohes Maß an Reproduzierbarkeit zu erreichen, als auch die zur Verfügung stehende Zeit am Kunden effektiv zu nutzen. Die Einbeziehung der individuellen Kundenwünsche und Hörumgebungen stehen dabei im Fokus. Zum Einsatz kommt hierbei der COSI- Fragebogen (Client Oriented Scale of Improvement), mit dem bereits im audiologischen Vorgespräch wichtige Zielstellungen für die Neuanpassung gemeinsam mit dem Kunden festgelegt und dabei in der Wichtigkeit sortiert wurden.
Die Ziele der Feinanpassung bestehen nicht nur darin, die Zahl an vermeidbaren Folgeterminen und die Häufigkeit von Versorgungsabbrüchen zu reduzieren. Entscheidend ist eine höchstmögliche Gesamtperformanz der letztlich eingestellten Hörsysteme. Diese beinhaltet insbesondere ein optimiertes Sprachverstehen in Ruhe und in störlärmerfüllten Umgebungen, die Höranstrengung sowie die klangliche Akzeptanz. Für die gemeinsam mit dem Kunden zu klärenden Fragen wird folgende grundsätzliche Reihenfolge empfohlen. In Einzelfällen muss diese Abfolge jedoch den Bedingungen angepasst werden.
4. Die sprachliche Vermittlung
Hörsystemträger haben in der Regel keine Erfahrungen darin, ihre Klangeindrücke in Worte zu fassen. Sie verhalten sich nicht selten gehemmt oder fühlen sich überfordert. Daher besteht die erste Aufgabe darin, den Kunden dazu zu bewegen, das Gehörte zu beschreiben. Denn nur durch eine funktionierende Rückmeldung des Wahrgenommenen kann der Hörakustiker notwendige Parametermodifikationen vornehmen. Deren Nichtberücksichtigung bedeutet eine vergebene Chance im Hinblick auf eine optimierte Hörsystemanpassung. Verwertbare Kundenaussagen können durch eine geschickte Fragestellung generiert werden. Offene Fragestellungen schließen den Kunden eher auf als eine geschlossene. Eine geschlossene Fragestellung macht bei überforderten Kunden zwar eine Rückmeldung wahrscheinlicher, schränkt die Antwortauswahl aber ein. Deshalb sollte zuerst eine offene Fragestellung (z.B. „Wie empfinden Sie den Klang meiner Stimme“) getestet werden, bevor man zum geschlossenen Repertoire greift. Sollte man als Akustiker mit geschlossenen Fragen begonnen haben, ist eine Rückkehr zu offenen Bewertungen meist nicht mehr möglich, weil der Kunde sich wahrscheinlich nicht trauen wird, die eigene Initiative wieder zu übernehmen.
Negativ belegte Fragestellungen können dem Kunden suggerieren, dass der Klangeindruck negativ sein müsste. Daher ist die Formulierung „Klingt Ihre eigene Stimme natürlich?“ der Frage „Klingt Ihre eigene Stimme dumpf?“ vorzuziehen. Eine wichtige Rolle spielt auch die Erwartung des Akustikers, die gewohnte Feinanpassungsroutine auf einen eben doch speziellen Kunden zu übertragen. Jedoch bedeuten Missverständnisse in der Kommunikation mit dem Kunden während des Feinanpassungsprozesses in jedem Fall vergebene Chancen auf ein besseres Anpassungsergebnis.
5. Spezifische und unspezifische Kundenbewertungen
Befragt nach seinem Klangeindruck wird sich der Kunde leider niemals fachlich präzise äußern, wie z.B. „Um 3200 Hz müsste für kleine Eingangspegel die Verstärkung um 3dB erhöht werden“. Die Antwort wird stattdessen entweder relativ leicht zu deuten (zum Beispiel „dumpf“, „nasal“ oder „schrill“) oder schwer zu interpretieren sein („seltsam“, „komisch“, „fremd“…). Eine gemeinsame Fachsprache ist nicht etabliert und auch nicht mit einem vertretbaren Aufwand zu vermitteln. Mit Beispielen wie „Klingt es vielleicht wie…“ können jedoch gute Anhaltspunkte für eine komplexere Klangbeurteilung gefunden werden. Unspezifische Bewertungen wie etwa „verfremdet“ fordern die Interpretationsfähigkeit und das Einfühlungsvermögen des Hörakustikers.Vor dem Hintergrund einer häufig festgestellten langjährigen Hörentwöhnung sind Klangbeurteilungen von Neuversorgten durch ihren gewohnten, sehr matten Klangeindruck geprägt. Ein hörentwöhnter Hochtonsteilabfall-Kunde wird ein Klangbeispiel kaum als „dumpf“ bewerten. Ein erprobter Ansatz hier wäre, den Fokus in der Feinanpassung auf den Gewinn an Deutlichkeit zu lenken.
6. Bewertungsklassen
Die Trennung von Klangeindrücken in verschiedene Bewertungsklassen erleichtern die Deutung und die Umsetzung der dazugehörigen Veränderungswünsche. Es fällt auf, dass nicht alle Bewertungsklassen gleich oft angesprochen bzw. genutzt werden.
BEWERTUNGSKLASSE | DEFINITION | BEISPIEL |
---|---|---|
Klangfarbe | Spektrale Balance, Verhältnis Höhen/Tiefen | schrill |
Klangtextur | Spektrale Glattheit, Überhöhungen/Notches | nasal |
Zeitauflösung | Zeitliche Verarbeitungsfehler aufgrund von Regelprozessen | blubbernd |
Übertragungsqualität | Unspezifisches Gefallen oder Nichtgefallen | seltsam |
Gut etabliert und sehr häufig von Kunden aktiv angesprochen wird die Bewertungsklasse Klangfarbe. Weniger oft angesprochene Klangeigenschaften aus den Klassen Klangtextur und Zeitauflösung treten nicht unbedingt seltener auf, sondern sind nur schwieriger zu fassen und zu entschlüsseln. Eine freie Nennung durch den Kunden ist jedoch selten, weshalb ein zielgerichtetes Erfragen unter Einsatz der oben genannten Beispiele notwendig ist. Werden Bereiche von Klangeigenschaften nicht thematisiert, kann keine Berücksichtigung erfolgen. Unspezifische Bewertungen durch den Hörsystemträger können ein starker Hinweis auf bestehende komplexere Probleme sein und erfordern ein zielgerichtetes Nachfragen und sprachliche Hilfestellungen. Im Prinzip sind die in der Bewertungsklasse Übertragungsqualität zusammengefassten Beschreibungen oft Hinweise auf noch nicht behobene Probleme im Bereich von Klangtextur oder Zeitauflösung. Weitere Eigenschaftsklassen, welche in der Wahrnehmungspsychologie unterschieden werden, spielen für die tägliche Hörsystemanpassung nur eine untergeordnete Rolle.
7. Feinanpassungsguide
Die hier folgenden Tabellen sind mit Sicherheit nicht vollständig und naturgemäß nicht universell auf jeden Kunden anwendbar. Sie können Fingerspitzengefühl und Berufserfahrung nicht ersetzen, weil sich das individuelle Kriterium z.B. für „Schärfe“ oder „Kehligkeit“ von Patient zu Patient unterscheidet. Sie verstehen sich daher primär als Hilfestellung und Anregung für die Aus- und Weiterbildung.
8. EIGENSCHAFTSKLASSE | *KLANGFARBE* |
---|---|
Beschreibung | Deutungsansätze zur Parametermodifizierung |
Dumpf, gedämpft, dunkel | Zu viel Verstärkung in den Tiefen oder zu wenig Höhen |
Eigene Stimme dröhnend, laut oder hallig | Zu viel Verstärkung in den Tiefen, Okklusion (Verschlusseffekt) oder Autophonie (Knochenschalleintrag am Kiefergelenk) |
Hell, grell, hart, lispelnd | Zu viel Verstärkung in den höheren Mitten (>2.500 Hz) |
Schrill | Zu viel Verstärkung in den mittleren Höhen (>3.000 Hz) |
Scharf | Zu viel Verstärkung in den höheren Höhen (>4.000 Hz) |
Telefonartig, matt | Zu schmalbandig (zu wenig Verstärkung in Höhen u. Tiefen) |
Dünn, flach | Zu wenig Verstärkung in den Tiefen (<800 Hz) |
Voll, zu voluminös | Zu viel Verstärkung in den Tiefen (<800 Hz) |
9. EIGENSCHAFTSKLASSE | *KLANGTEXTUR* |
---|---|
Beschreibung | Deutungsansätze zur Parametermodifizierung |
Kehlig, guttural | Nicht glatt in den Tiefen |
Blechern, metallisch | Nicht glatt in den Höhen |
Dröhnend | Schmalbandige Überhöhung im Tieftonbereich oder zu viel Tiefen |
Näselnd, nasal | Schmalbandige Überhöhung in den Mitten |
Dosig | Schmalbandige Überhöhung in den Mitten |
Hohl | Spektral nicht glatt |
Kratzig, knisternd | Verzerrung/Clipping mit Nebenspektrum |
Verrauscht | Hochtönige Kompressionsartefakte |
Zischig | Zu viel Verstärkung für kleine Eingänge in den Höhen |
10. EIGENSCHAFTSKLASSE | *ZEITAUFLÖSUNG* |
---|---|
Beschreibung | Deutungsansätze zur Parametermodifizierung |
Abgehackt | Expansionsartefakte |
Verschluckt, Anlaut geht verloren | Expansionsartefakte, z.B. durch Squelch |
Blubbern, plätschern | Kompressionsartefakte, evtl. bei zu viel Verstärkung für leise Eingänge |
Verwaschen, verschmiert | Kompressionsartefakte, z.B. durch adaptive Features |
Undeutlich, verschwommen | Kompressionsartefakte, z.B. durch adaptive Features |
Rau | Kompressionsartefakte, z.B. durch adaptive Features |
Echo, Hall | Kompressionsartefakte, z.B. durch adaptive Features |
11. EIGENSCHAFTSKLASSE | *ÜBERTRAGUNGSQUALITÄT* |
---|---|
Beschreibung | Deutungsansätze zur Parametermodifizierung |
Unangenehm | Unspezifisch, muss durch genauere Befragung geklärt werden |
Seltsam | Unspezifisch, muss durch genauere Befragung geklärt werden |
Komisch | Unspezifisch, muss durch genauere Befragung geklärt werden |
Verfremdet | Unspezifisch, muss durch genauere Befragung geklärt werden |
Wegen des häufigen Auftretens und der daraus resultierenden Bedeutung hervorgehoben sei die Unterscheidung von Okklusion (Verschlusseffekt) und Autophonie (Knochenschalleintrag am Kiefergelenk). Während Okklusionseffekte relativ zuverlässig durch die Vergrößerung des Vents behebbar sind, ist diese Maßnahme bei der Autophonie nutzlos. Dem Verschlusseffekt durch Knochenschall kann durch eine Aussparung im Kiefergelenksbereich (Nugget-Otoplastik, Skelett-Dome etc.) effizient begegnet werden. Beachtenswert ist auch, dass bei der Vergrößerung von Zusatzbohrungen in der Regel die Wirkung von adaptiven Features wie Störlärmunterdrückung tendenziell abnimmt und der angestrebte Nutzen für den Kunden in geräuscherfüllter Umgebung auf der Strecke bleiben kann. Als Lösungsansätze bieten sich Folien- oder Hohlkanalotoplastiken an, bei denen bereits ein kurzer Vent mit geringem Durchmesser die benötigte Belüftungswirkung erzielt.
12. Die Verknüpfung von In-Situ Perzentilanalyse und Feinanpassung
Eine Feinanpassung ohne eine vorherige Bestimmung der Startposition ist sehr gewagt und auch wenig erfolgversprechend. Durch die In-Situ-Perzentilanalyse ist ein messtechnisches Mittel verfügbar, mit dem der Zustand der anzupassenden Hörsysteme zuverlässig erfasst werden kann. Die Vorteile der perzentilen Darstellung und der Nutzung des ISTS (International Speech Test Signal) liegen darin, Hörsysteme in Trageeinstellung messen zu können und nützliche Informationen über die dynamische Signalverarbeitung zu erhalten. Gemessen wird in der Regel mit den Eingangspegeln 50, 65 und 80dB. Zur Abfolge der Messungen existieren verschiedene Vorschläge, etwa die Leitline *Hörsystemanpassung mittels Perzentilanalyse* des EUHA- Arbeitskreises.
Eine der Feinanpassung vorangestellte Insitu-Zielkurvenanpassung ist eine Möglichkeit, den Zustand bei Beginn der Kundenbefragung festzulegen. Häufig wird aber bei Erstversorgungen eine Annäherung an beispielsweise die Zielkurven von NAL NL2 oder DSL v5 wegen der nicht berücksichtigten Deprivation wenig erfolgversprechend sein und auch nicht der Anpassphilosophie des Hörsystemherstellers entsprechen. Ein weiteres Problem stellen bei einigen Herstellern nicht nutzbare adaptive Features bei Verwendung von DSL oder NAL dar. Als Alternative bietet sich eine Integration von In-Situ- Zielkurvenanpassung und Kundenbefragung an. Hierbei wird die Veränderung eines Frequenzbereiches (beispielsweise der Höhen) als Abweichung vom Ziel der Insitumessung entnommen und als Veränderungsvorschlag dem Kunden präsentiert. Ob dieser die Veränderung annimmt oder nicht, hängt vom Hörgeschmack, der Hörentwöhnung und von der Vorversorgung ab. Unabhängig davon, ob der Kunde diesen und alle folgenden Veränderungsvorschläge übernehmen möchte, entsteht Stück für Stück eine individualisierte Parametereinstellung. Die Aufgabe des Akustikers besteht dabei in einer Ausbalancierung der konkurrierenden audiologischen Zielstellungen Sprachverständlichkeit und Akzeptanz unter messtechnischer Kontrolle. Eine hundertprozentige Erfüllung von Zielkurven wäre bei diesem Vorgehen zweitrangig.
Besonders für bereits erfahrene Hörgeräteträger sollte besonderes Augenmerk auch auf die Messkurve des 30sten Perzentils der 65dB- Messung gelegt werden. Im Bereich oberhalb von 1000 Hz ist zu prüfen, ob der Ausgangsschalldruckpegel oberhalb der SPL- korrigierten Hörschwelle liegt. Dies ist bei vielen Ersteinstellungen zunächst nicht der Fall. Eine Verstärkungserhöhung für leise Eingangspegel bewirkt verbesserte Sprachverständlichkeitsergebnisse, besonders bei hohen Anforderungen in komplexen Geräuschumgebungen.
Klangbeispiele in der Feinanpassung
Zur Feineinstellung von komplexen Hörsystemparametern (zum Beispiel Störlärmmanagement oder Impulsschallunterdrückung) ist ein Einsatz von Klangbeispielen notwendig. Dafür werden als zusätzliches Equipment z.B. Surroundanlagen eingesetzt oder andere geeignete Wiedergabegeräte, die eine räumliche, wirklichkeitsnahe und unverzerrte Darbietung von Klangszenarien erlauben. Da sich Kunden eine Verbesserung des Sprachverstehens in ihren selbst erlebten schwierigen Hörsituationen wünschen, orientiert sich die Auswahl der Klangbilder an den individuellen Versorgungszielen. Während Nutz- und Störsignale in einem möglichst realistischen Verhältnis angeboten werden, bietet sich die schrittweise Variation von adaptiven Parametern, wie etwa der Wirktiefe der Störlärmunterdrückung an. Die Einstellvorschläge der Hersteller sind der Regel eher konservativ / vorsichtig und können durch fortlaufende AB-Vergleiche verschiedener Settings optimiert werden. Meldet der Kunde Störungen der Zeitauflösung („blubbern“, „plätschern“…), muss zu einer geringeren Einstelltiefe zurückgekehrt werden. Oft kann der Nutzschall durch den Akustiker selbst erzeugt werden. Dies ermöglicht eine wirklichkeitsnahe Sprechanstrengung, während mittellaut aufgenommene, aber laut abgespielte Sprachaufnahmen nicht sehr realistisch klingen. Aufmerksamkeit verdient auch die Auswahl der Richtungen der präsentierten Signalkomponenten. Wird der Nutzschall frontal und der Störschall aus dem hinteren Halbkreis angeboten, können zum Beispiel Richtmikrofone einen eindrucksvollen Beitrag zur Sprachhervorhebung leisten. Einen Sonderfall stellt die Klangumgebung „Musik“ dar. Wünscht sich der Kunde ein entsprechendes Programm, sollte die automatische Programmumschaltung bzw. ein Universalprogramm verlassen werden und ein ausschließlich auf den Musikgenuss abgestimmtes Setting mit minimaler Kompression, großer Bandbreite und deaktivierten adaptiven Parametern optimiert werden.
13. Nachsorgekonzept
Auch mit großem Aufwand in der Feinanpassung ist eine häusliche Erprobungsphase unbedingt erforderlich, weil sich nicht alle Klangszenarien adäquat simulieren lassen. Bei Folgeterminen ist zu erwägen, Teile der Feinanpassung gezielt zu wiederholen. Der Prozess der Feinanpassung endet nicht mit der Abrechnung der Hörsysteme. Gerade beim hörentwöhnten Kunden ist eine gleitende Anpassung eine zielführende Lösung, um aus einer zunächst akzeptierbaren Lösung stufenweise eine mit einer optimierten Sprachverständlichkeit zu machen. Als Anhaltspunkt können 4 bis 6 Nacheinstelltermine mit jeweils 4 bis 6 Wochen Zeitabstand genommen werden – Voraussetzung ist jedoch, dass die Geräte auch größtenteils getragen werden. Unterstützend sollte ein Hörtraining und eine Schulung in Hörtaktik angeboten werden, welches besonders bei Hochgradigkeit oder Hochtonsteilabfällen des Hörverlustes sinnvoll ist. Werden Frequenzkompression bzw. Frequenztransposition eingesetzt, stellt sich der gewünschte Erfolg nicht immer sofort ein. Mit der praktischen Erprobung von verschiedenen Einstellungen über mehrere Termine kann sich der Kunde in die ungewohnte Wiedergabe einhören. Das Augenmerk liegt dabei immer auf der Hörbarkeit sprachrelevanter, hochfrequenter Sprachbestandteile („s“, „sch“), wobei sich die Verbesserung der Sprachverständlichkeit oft erst mit der Zeit verbessert. Eine messtechnische Visualisierung der Wiedergabe dieser Phoneme lässt sich gut im Freestyle-Modus der In-Situ-Anlage durchführen.
Ebenso wichtig wie die dargestellten und diskutierten hörsystemspezifischen Aspekte ist die Konzeption und Umsetzung eines ganzheitlichen Nachsorgekonzeptes, zu dem unter anderem auch die Beratung für den Einsatz von Hörassistenzsystemen sowie deren Anpassung und Bedienung gehören.