Es handelt sich um eine Strukturierung der Arbeit des Hörakustikers als Anbieter gesundheitlicher Leistungen rund um Menschen mit Hörstörungen und Nutzern von implantierten Hörsystemen.
Präambel
Hörakustiker, implantierende HNO-Kliniken, niedergelassene HNO-Ärzte und alle beteiligten Disziplinen (= Leistungserbringer) haben die ethische Verpflichtung, Menschen mit implantierten Hörsystemen vom Beginn einer Hörminderung an lebenslang zu versorgen und zu begleiten. Die Begleitung der Nutzer implantierter Hörsysteme ist integraler Bestandteil der Arbeit des Hörakustikers. Diese Aufgabe beginnt bei der Beratung und Anpassung von konventionellen Hörsystemen und beinhaltet das ständige Abwägen ergänzender operativer Optionen und Versorgungsmöglichkeiten. Im unmittelbaren Austausch mit allen beteiligten Disziplinen nehmen Hörakustiker aktiv an der lebenslangen Nachsorge für Nutzer implantierter Hörsysteme teil. Grundlage jeder Tätigkeit im Umfeld der Betreuung von Nutzern implantierter Hörsysteme ist die Abstimmungsbereitschaft aller Leistungserbringer. Seitens der hier tätig werdenden Hörakustiker ist eine spezifische Qualifikation, ein daraus folgender Tätigkeits-Level und eine diesem Level entsprechende Weiterbildung durch die Hersteller, spezialisierte Kliniken oder vom Hersteller autorisierte Bildungseinrichtungen der Hörimplantate zwingend erforderlich. Fachliche Kompetenz und intensiv gelebte Kooperation aller Beteiligten bilden die Grundlage für den Hörerfolg der Nutzer von implantierten Hörsystemen. Die hier erarbeitete Strukturierung steht in Ergänzung zum Weißbuch Cochlea-Implantat (CI)-Versorgung.
Ziele
Diese Leitlinie zielt auf einen gleichbleibend hohen Qualitätsstandard beim Hörakustiker in der Begleitung von Nutzern implantierter Hörsysteme ab. Auf der Grundlage von Kompetenz und Erfahrung informieren Hörakustiker neutral über Möglichkeiten und Chancen implantierter Hörsysteme. Hörakustiker zeigen allen Patienten mit bisher von WHO 1, 2 oder 3 abweichenden Hörprofilen bzw. im von den HNO-Fachgesellschaften ausgewiesenen Indikationsspektrum oder bei ausgeprägten Luftleitungs- und/oder Knochenleitungsanteilen adäquate Versorgungsoptionen auf. Als Anbieter gesundheitlicher Leistungen sichert der Hörakustiker die qualitativ ausreichende, wohnortnahe Betreuung von Nutzern implantierter Hörsysteme bei steigenden Patientenzahlen.
Inhaltsverzeichnis
- Voraussetzungen und berufliche Qualifikat
- Erkennen und Aufzeigen von alternativen Versorgungsmöglichkeiten
- Leistungen des Hörakustikers
- Audiologische Überprüfung
- Qualitätssicherung und Nachhaltigkeit
- Quellen und Literaturhinweise
1. Voraussetzungen und berufliche Qualifikation
1.1 Hörakustiker
Im Rahmen ihrer Ausbildung erwerben Hörakustiker Wissen zum zu erwartenden Hörerfolg sowie zu den Grenzen und Kontraindikationen der konventionellen Versorgung. Bereits während einer laufenden konventionellen Hörsystemversorgung fließen in die Beratung alternative und/oder zusätzliche ergänzende Versorgungsoptionen ein. Dies geschieht unter besonderer Berücksichtigung der audiologischen und anatomischen Gegebenheiten und bei Ausbleiben eines adäquaten Hörerfolges mit konventionellen Hörsystemen.
1.2 Hörakustiker mit Weiterbildung und Hörimplantat-Service
Mit Berufserfahrung und dem Erwerb erweiterter Kenntnisse zu Indikationen von Hörimplantaten sind Hörakustiker aktiv im Hörimplantat-Service tätig. Mit regelmäßigen Schulungen und Trainings durch die Hersteller von Hörimplantat-Systemen, spezialisierte Kliniken oder vom Hersteller autorisierte Bildungseinrichtungen sind Hörakustiker in der Lage, Service, Wartung und Reparaturen für Nutzer von implantierten Hörsystemen auszuführen.
1.3 Hörakustiker mit Weiterbildung zum Hörimplantatspezialisten in Kooperation mit einer Klinik
Hörakustiker mit Weiterbildung und der abgeschlossenen Fortbildung zum Hörimplantatspezialisten/CI-Akustiker erhalten nach ihrer Hospitation in einer CI-versorgenden Klinik/Reha-Einrichtung eine umfassende Produkt- und Fitting-Schulung durch die Hersteller von Hörimplantat-Systemen, spezialisierte Kliniken oder vom Hersteller autorisierte Bildungseinrichtungen. Diese bildet die Grundlage für Anpassungen/Mapping/Fitting an Cochlea-Implantat-Systemen in Abstimmung mit den Leistungserbringern.
2 Erkennen und Aufzeigen von alternativen Versorgungsmöglichkeiten
Auf Basis seines Fachwissens interpretiert der erfahrene Hörakustiker die erhobenen audiologischen Kenndaten und erkennt Fälle, bei denen eine alternative Versorgungsmöglichkeit angezeigt ist. Der Hörakustiker zeigt in Abstimmung mit allen Leistungserbringern und dem Patienten alternative Versorgungsmöglichkeiten auf. Die Indikationsbereiche und Einsatzmöglichkeiten der derzeit auf dem Markt zur Verfügung stehenden Hörimplantat-Lösungen überschneiden sich. Der Hörakustiker informiert aus seiner Sicht, um die Entscheidungsgrundlage des Patienten zu unterstützen. Die Entscheidung, welche Versorgungsart zum Einsatz kommt, bestimmt der Patient zusammen mit den behandelnden Hals-Nasen-Ohren-Ärzten unter Berücksichtigung der Befunde aller beteiligten Disziplinen. Hörakustiker führen den Austausch der Patientendaten mit den Leistungserbringern entsprechend den jeweils aktuellen europäischen und nationalen Datenschutzrichtlinien durch.
2.1 Mittelohrimplantate
Die Indikation für ein implantierbares Hörsystem besteht i. d. R. bei Patienten, die aus medizinischen oder audiologischen Gründen nicht mit konventionellen Hörsystemen versorgt werden können und bei denen von einem implantierbaren Hörsystem ein dauerhaft besseres Hörvermögen erwartet werden kann. Dies kann zutreffen bei:
- mittlerer bis hochgradiger Schallempfindungsschwerhörigkeit,
- Schallleitungsschwerhörigkeit,
- kombiniertem Hörverlust,
- asymmetrischer Hörminderung, z. B. einseitige Taubheit (SSD)
unter Berücksichtigung der aktuellen Literatur und der Indikationsmatrix der Hersteller / der Zweckbestimmung des jeweiligen Systems.
In jedem Falle sind bei der Indikationsmatrix Neuerungen der Technologie zu berücksichtigen, die ggf. eine Erweiterung der Indikation ermöglichen.
2.2 Cochlea-Implantate
Die Indikation zur Cochlea-Implantation besteht i. d. R. bei mittelgradigem bis an Taubheit grenzendem, sensorineuralen Hörverlust und bei Taubheit eines oder beider Ohren, der bzw. die durch konventionelle Hörsysteme oder operative Maßnahmen nicht ausreichend auszugleichen ist und bei dem bzw. der mit Cochlea-Implantaten ein ausreichendes Hören und Sprachverstehen im Störgeräusch zu erwarten ist. Bei beidseitig gegebener Indikation ist eine beidseitige Implantation zu empfehlen. Voraussetzung ist ein intakter Hörnerv (gehört zur medizinischen Diagnostik). Sind diese Grundbedingungen erfüllt, informiert der Hörakustiker in Kooperation mit den behandelnden HNO-Ärzten und allen begleitenden Disziplinen zu der alternativen Versorgungsmöglichkeit mit einem Cochlea-Implantat. Dabei fließen Aktualisierungen bei Indikationskriterien und technische Weiterentwicklungen unmittelbar in den Prozess ein.
3 Leistungen des Hörakustikers
3.1 Hygiene und Pflege
Dieser Bereich umfasst alle Leistungen im Hörakustikfachgeschäft sowie die Einweisung in Reinigung und Pflege der Hörsystemkomponenten durch die Nutzer in ihrem Alltag. Medizinprodukte und ihre Herstellungsverfahren müssen so ausgelegt sein, dass Risiken für Patienten, Anwender und Dritte ausgeschlossen oder so weit wie möglich verringert wird. Dies gilt auch für Risiken aus Kontamination und fehlender Sauberkeit. Um einen einwandfreien Betrieb im bestimmungsgemäßen Gebrauch und über die vorhergesehene Lebensdauer zu gewährleisten, sind seitens des Herstellers daher Vorgaben zu Reinigung und Pflege der Geräte zu machen, die seitens des Anwenders eingehalten werden müssen – dies gilt selbstredend auch für den Service durch den Hörakustiker. Nutzer von implantierten Hörsystemen sollen die notwendigen Reinigungs- und Pflegearbeiten in regelmäßigen Abständen selbstständig durchführen. Um dies sicherzustellen, wirkt der Hörakustiker aktiv bei der Einweisung der Nutzer von implantierten Hörsystemen mit.
3.2 Wartung, Service, Reparaturen und Instandhaltung
Hörakustiker informieren und beraten zu allen allgemeinen Fragen zum Sprachprozessor, geben Hilfestellung und vermitteln zu Informationsangeboten der Hersteller und der Leistungserbringer bei spezifischen Fragen. Hörakustiker sind eine wohnortnahe Anlaufstelle
- für den Bezug von Implantat-Batterien, Mikrofonabdeckungen, Verschleiß- und Verbrauchsmaterialien,
- den Bezug von kompatiblem Zubehör wie Drahtlose Akustische Übertragungsanlagen (DAÜ), Bluetooth-Anbindungen, induktive Anbindungen, Telefone und Zubehör, Fernbedienungen, Sport, Accessoires, Wasserschutzhüllen
- für dreidimensionale Ohrabformungen zur Herstellung von Otoplastiken, Halte- und Auflageplastiken.
3.3 Regelmäßige Kontrolle
Im Rahmen der Nachsorge erfolgt durch den Hörakustiker innerhalb der vorgesehenen Intervalle die technische Überprüfung des Sprachprozessors, des Zubehörs sowie ggf. weiterer vorhandener externer Komponenten. Hierfür sind die Vorgaben des jeweiligen Herstellers einzuhalten.
3.4 Anpassung/Mapping/Fitting
Hörakustiker passen Mittelohrimplantate nach Einweisung durch den Hersteller und gemäß den Vereinbarungen mit den Leistungserbringern zu jedem Zeitpunkt der Versorgung an. Hörakustiker mit Weiterbildung und der abgeschlossenen Fortbildung zum Implantat-Spezialisten/CIAkustiker ermitteln nach Einweisung durch die Hersteller von Hörimplantat-Systemen, spezialisierte Kliniken oder vom Hersteller autorisierte Bildungseinrichtungen und gemäß den Vereinbarungen mit den Leistungserbringern
- MCL- und THR-Werte bei Cochlea-Implantaten,
- führen Skalierungen und Balancing durch,
- modifizieren bzw. optimieren Hörprogramme.
- passen kontralaterale Versorgungsmöglichkeiten im bimodalen Betrieb an,
- und stimmen Akustikkomponenten bei elektroakustischer Stimulation (EAS, Hybrid) ab.
Mit Qualitätskontrollen, der Prüfung elektrophysiologischer Parameter und der regelmäßigen Erhebung von Sprachtestdaten stellen Hörakustiker die regelrechte Funktion von implantierten Hörsystemen sicher.
Die dabei verwendeten Methoden zur vergleichenden Parameterabstimmung sind mit den Leistungserbringern abzustimmen und auszutauschen. Eine gemeinsame Datenbank lässt die Beurteilung signifikanter Abweichungen, deren Diskussion und die Anpassung entsprechender Parameter zu. Bei der Erneuerung von Sprachprozessoren (Upgrade) dokumentieren Hörakustiker den Hörerfolg und beantragen nach HNO-ärztlicher Verordnung die Kostenübernahme bei den jeweiligen Kostenträgern.
Hörakustiker mit Weiterbildung zum Hörimplantatspezialisten im Einklang mit einer Klinik übertragen/konvertieren die Einstellungen/MAP für den neuen Sprachprozessor, informieren die Klinik/ Reha-Einrichtung zum Verlauf und weisen den Nutzer in die neue Technologie ein.
4 Audiologische Überprüfung
Hörakustiker erstellen Messungen zur Telemetrie, Aufblähkurven, Lautheitsskalierungen, Sprachtests zur Erfolgskontrolle gemäß Weißbuch zur CI-Versorgung und den Vereinbarungen mit den Leistungserbringern und erbringen Leistungen im Remote Support und der technischen Nachsorge.
5 Qualitätssicherung und Nachhaltigkeit
Eine regelmäßige Kontrolle implantierter Hörsysteme sichert die nachhaltige und zielführende Versorgung. Die Ergebnisse der Nachsorge-Visiten sind zwischen versorgenden Anbietern – auch ohne adverse event (unerwünschtes Ereignis) – regelmäßig auszutauschen. Da sich Anatomie, Hörvermögen und subjektive Empfindungen ändern können, haben die Nutzer die Möglichkeit, jederzeit nach freier Wahl auf Ärzte, Heil- und Hilfsmittelerbringer, Angehörige anderer Fachbereiche oder Hersteller und Vertreiber zuzugehen, der den Austausch/die Diskussion des adverse event anstößt. In Abstimmung mit den Leistungserbringern nimmt der Hörakustiker eine Anpassung des Gesamtsystems vor oder initiiert die Optimierung/Erneuerung/Einweisung der externen Komponenten. Damit wird eine ausreichende Versorgung von Nutzern von implantierten Hörsystemen dauerhaft gewährleistet.
6 Quellen und Literaturhinweise
AWMF-Leitlinie S017/73 – Implantierbare Hörgeräte – Arbeitsgemeinschaft Deutschsprachiger Audiologen, Neurootologen und Otologen der Deutschen Gesellschaft für Hals-Nasen-OhrenHeilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie, Dez. 2017.
Laszig R, Aschendorff A, Stecker M, Müller-Deile J, Maune S, Dillier N, Weber B, Hey M, Begall K, Lenarz T, Battmer RD, Böhm M et al. Benefits of bilateral electrical stimulation with the nucleus cochlear implant in adults: 6 months postoperative results. Otol Neurotol. 2004; 25: 958-68.
Lenarz T, Weber BP, Mack KF, Battmer RD, Gnadeberg D. The Vibrant Soundbridge system: A new kind of hearing aid for sensorineural hearing loss. 1: Function and initial clinical experiences. Laryngo-RhinoOtologie. Mai 1998; 77(5): 247-55.
Tjellström A, Granström G. Long-term follow-up with the bone-anchored hearing aid: A review of the first 100 patients between 1977 and 1985. Ear Nose Throat J., Febr. 1994;73(2): 112-14.
Rat der Europäischen Union, Europäisches Parlament, Verordnung EU 2016/679 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO)), April 2016, Kap. 2, Art. 5-11
Rat der Europäischen Union, Europäisches Parlament, Verordnung EU 2017/745 MDR, Anhang I, Abschnitt 8, Mai 2017, Kap. 1, 1.-9.